Alle suchen nach Liebe, doch oft rennen wir ihr unglücklich hinterher und scheinen sie niemals festhalten zu können. YOGA-AKTUELL-Autorin Maria Wirth hat in Indien einen ganz anderen Zugang zur Liebe gefunden.
Es war ziemlich am Anfang meines Aufenthalts in Indien. Ich war erst vor gut einem Jahr aus Deutschland abgereist und in Indien gelandet, und doch war meine Weltanschauung schon heftig ins Wanken geraten. Wohl in keinem anderen Land stellen sich so schnell grundlegende Fragen über Gott und die Welt wie in Indien.
Eine dieser grundlegenden Fragen betraf die Liebe. Ich wollte mir über das große Thema Liebe klar werden. Dazu zog ich mich in den Himalaya zurück – nach Nepal, denn mein Visum für Indien war gerade abgelaufen. Etwas außerhalb von Pokhara mietete ich mir an einem Berghang ein alleinstehendes Lehmhaus einfachster Kategorie. Es ähnelte einem Schuppen: ein einziger Raum mit einer Feuerstelle und einem Holzbett. Die Tür war verzogen und nicht verschließbar. Die Wände hatten mehrere kopfgroße Löcher, in denen lose Steine lagen. Nachts wimmelte es außerhalb des Mosquitonetzes von Ratten. Auf dem Weg zur Quelle begegnete ich nur Kühen und Wasserbüffeln. Ich wollte allein sein – und das war ich dort. Ich wollte mir in Ruhe über die Liebe klarwerden.
Ich hatte den Eindruck, dass ich umdenken musste, wenn ich dem, was ich für richtig hielt, treu bleiben wollte: Ich musste dem Verliebtsein, das ich immer für so attraktiv gehalten hatte, einen anderen, weniger wichtigen Stellenwert zuordnen und musste mir klarer darüber werden, was die indischen Weisen unter „echter“, unter „wahrer“ Liebe verstehen.
Wahre Liebe ist absichtslos
„Echte Liebe ist zwischen Individuen nicht möglich“, behauptet Anandamayi Ma. Und: „Echt, wahr und dauerhaft tief beglückend ist nur die Liebe zu Gott“, wobei unter Gott Brahman zu verstehen ist, das Eine, das unser aller Selbst ist. Es ist eine Standardweisheit in Indien, mit der ich von Anfang an konfrontiert wurde. Unsere menschlichen Formen von Liebe verdienen nach Ansicht der Weisen eigentlich gar nicht das Wort Liebe. Sie schlagen Ausdrücke wie Anziehung, Zuneigung, Freundschaft, eventuell sogar Verblendung für unsere Liebesgefühle vor, denn es sind immer mehr oder weniger egoistische Absichten mit im Spiel. Echte Liebe dagegen ist absichtslos, das heißt, ohne jeden Gedanken an sich selbst. In ihr verschwinden alle […]