Wenn wir glücklich sind, ist es relativ leicht, den gegenwärtigen Moment bewusst wahrzunehmen. Vielleicht gelingt es uns auch auf dem Meditationskissen oder während der Yogapraxis. Doch mitten im Leben, zwischen Berufsalltag und Familienleben, während wir Schmerz oder andere starke Emotionen erleben, vergessen wir oft die Achtsamkeit. Dabei können uns gerade die herausfordernden Momente des Lebens, ebenso wie die schönen Augenblicke, tiefer in das bewusste Erleben des gegenwärtigen Momentes führen.
Wahrnehmen was ist
Über uns rumpelt und kracht es. Schreiende Worte. Eine Frau weint, ein Mann stößt sie vor die Tür. Wir sitzen darunter, auf unseren Yogamatten. Hören zu und versuchen, achtsam auf unseren Atem zu lauschen. Das funktioniert nicht gut, über uns rumpelt und kracht es weiter. Was bedeutet Achtsamkeit in diesem Moment? Sitzen zu bleiben und Yoga zu praktizieren – oder von der Yogamatte aufzustehen und zu sehen, ob wir etwas tun können. Wir entscheiden uns für das Aufstehen. Die Frau schlägt an die Tür, der Mann öffnet sie, außer sich vor Wut. Als wir fragen, ob wir helfen können, wird es einen Moment still. Mitten in das Chaos tritt ein Augenblick des Staunens, des absoluten Wachseins, des Gewahrseins. Für uns, da wir von den Yogamatten aufgestanden sind. Für die Frau und den Mann, da sie für einen Moment innehalten und realisieren, was sie tun.
Die schönen und schwierigen Momente des Lebens – wenn wir lieben, wütend sind oder Schmerzen erleiden – können ein Schlüssel für die Achtsamkeits-Praxis sein. Achtsam zu sein in einem Moment von starker Wut bedeutet, die Empfindung ganz und gar wahrzunehmen und sogar ganz und gar in sie hinein zu gehen. „Achtsamkeit ist das Gewahrsein unserer Empfindungen im gegenwärtigen Moment“, sagt die Psychologin Dr. Britta Hölzel. Der Unterschied zu einer emotionalen Reaktion ist, dass wir uns nicht mit der Empfindung identifizieren oder uns gegen sie wehren. Stattdessen akzeptieren wir die Empfindung, so wie sie gerade ist und erspüren sie sinnlich-körperlich. „Ich bin mir bewusst, dass ich das erlebe – aber ich bin nicht identisch mit meiner Empfindung“, erklärt Hölzel weiter. So entsteht eine innere Beobachter-Perspektive, ein urteilsfreies Wahrnehmen dessen, was gerade ist. „Ich kann der Empfindung erlauben zu sein, ohne dass ich etwas damit machen muss.“ In Bezug auf die Wut würde das bedeuten, einen […]