Schon vor Kurzem haben wir die Verbindung von Yoga und Tanz thematisiert und einige Berührungspunkte zwischen Asana-Praxis und tänzerischer Ausdrucksform vorgestellt. Die Kombination dieser beiden Bewegungswelten hat viel Potenzial und eröffnet eine große Vielfalt an Möglichkeiten. Dies zeigt sich auch im Yoga Oriental, den die aus Izmir stammende und heute in Süddeutschland lebende Tänzerin Semy Gutmann entwickelte.
YOGA AKTUELL: Bitte stellen Sie unseren Lesern Yoga Oriental zunächst in ein paar Worten vor…
SEMY GUTMANN: Yoga Oriental ist schwer zu beschreiben. Man muss es erleben, aber ich werde versuchen, es näher zu erklären.
Ich habe die Menschen beobachtet und mich gefragt: Was stimmt nicht an der Haltung, wie kann man individueller auf den Einzelnen eingehen? Die wichtigste Erkenntnis war für mich, dass nicht nur das Spirituelle vorhanden sein muss, auch der Körper muss geschmeidig sein, damit Geist und Körper eine Einheit bilden und die Übungen richtig genossen werden können. Ich hatte die Idee, die weichen, ausdrucksvollen Bewegungen des Bauchtanzes mit Yogapraktiken zu verbinden: eine Verbindung von Anspannung und Entspannung, das Element der isolierten Bewegung einzelner Körperteile aus dem Bauchtanz verbunden mit der Atmung in den Asanas.
Auf der Grundlage meiner 27-jährigen professionellen Bühnenerfahrung im Orientalischen Tanz und meiner fundierten Erfahrung in anderen Tänzen sowie meiner jahrelangen Hingabe zum Mandra-Yoga habe ich ein neues, einzigartiges Unterrichtskonzept entwickelt. So entstand „YOGS“, auch Yoga Oriental genannt.
Yoga Oriental beinhaltet körperbetonte Yogapraktiken und orientalische Tanzbewegungen, die zu einer modernen und körperintensiven Übungsform kombiniert werden. Da ich durch das Tanzen unterschiedlichste Bewegungsabläufe studiert und eigene Bewegungsautomatismen ausgebildet habe, ist es mir möglich, die Praktiken der ruhenden Körperstellungen bei gleichzeitiger isolierter Bewegung einzelner Körperteile individuell auf den einzelnen Menschen abzustimmen. Dabei schenke ich der korrekten Körperhaltung und der richtigen Ausführung bzw. Isolation der einzelnen Körpersegmente wie Becken und Brustkorb große Beachtung. Es ist wichtig, dass jeder Einzelne in die richtige Ausführung der Bewegung eingewiesen wird und dahingehend korrigiert wird, dass die Bewegung zum Menschen passt.
Dieses von mir ausgearbeitete Unterrichtskonzept gebe ich exklusiv an Lehrerinnen, Schülerinnen und Interessierte weiter. Im Kurs nutzen wir die Magie des Tanzes, um uns selbst im Körper wiederzufinden. Diese Art von Tanz und Bewegung schafft eine heilsame, kraftvolle und tiefe Verbindung zum eigenen Körper.
Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen orientalischem Tanz und Asana-Praxis, und welche Unterschiede gibt es? Können sich beide gerade in ihrer Unterschiedlichkeit befruchten?
In Fachkreisen wird der orientalische Tanz als Yoga in Bewegung bezeichnet.
Um es in einem Bild zu sagen: YOGS ist wie Baharat. Baharat ist eine Gewürzmischung im arabischen Raum, deren Zusammensetzung regional zusammengestellt wird und variieren kann. Jeder Teilnehmer experimentiert mit seinem Körper, seinen Bewegungsabläufen und lernt seinen Körper kennen.
Sind nicht auch beide, Tanz und Yoga, eine Mischung aus präziser Körperbeherrschung und Hingabe an einen intuitiven Flow?
Im Yoga gibt es vielfältige, unterschiedliche Richtungen. Ich möchte Yoga und YOGS (Yoga Oriental) nicht vergleichen. YOGS ist für mich Bewegung im Fluss.
Ich arbeite mit dem Sakralchakra, dem Energiezentrum, das sich im Becken nahe dem Kreuzbein befindet. Dieses Energiezentrum fördert unsere Fähigkeit, auf körperlicher Ebene das Leben zu genießen, es beherrscht unser vitales Wohlbefinden. Das Sakralchakra ist vom Element Wasser beherrscht und beeinflusst unsere Emotionen. Wenn wir unsere Emotionen nicht zum Ausdruck bringen, bremst das die Geschmeidigkeit des Körpers.
Was fasziniert Sie am orientalischen Tanz ganz besonders?
Das ist meine Tradition, das sind meine Wurzeln. Im Tanz drücken sich die Mentalität, die Sitten und die Gebräuche eines Landes aus.
Welche Rolle spielt Musik im Yoga Oriental?
Musik hat nicht die vorherrschende Rolle. Sie unterstützt jedoch dabei, sich in die Bewegung fallen zu lassen, sich den eigenen Emotionen hinzugeben. Mit Musik wird die Spannung des Körpers schneller gelöst, die Energie kann wieder frei fließen, und eine natürliche Bewegung findet statt.
Ich habe in meinen Kursen schon erlebt, dass Teilnehmerinnen angefangen haben, in einer Art Sprechgesang im Einklang mit ihren Bewegungen selbst zu singen. Das ist die totale Befreiung.
Tun sich viele Erstteilnehmer mit den fließenden Bewegungen zunächst schwer oder können sich die meisten schnell darauf einlassen?
Es ist wichtig, seinen Körper richtig wahrzunehmen. Man muss wieder lernen, zu fühlen. Zu Beginn eines Workshops lasse ich meine Teilnehmer und Teilnehmerinnen gern bei geschlossenen Augen mit den Füßen den Untergrund ertasten. Wobei ich hier unterschiedliche Untergründe vorbereitet habe, wie Sand, Moos, Gras oder Kiesel.
Ich arbeite mit Bildern, damit die Bewegungen klar werden: zum Beispiel mit der Hüfte eine Acht in der Luft schreiben.
In der Regel lassen sich meine Erstteilnehmer schnell darauf ein und geben sich der fließenden Bewegung hin. Wie beim Barfußlaufen haben sie einen „Aha“- Effekt, sie spüren ihren Körper neu.
Auch wenn der Begriff „Bauchtanz“ verkürzend ist, legt der orientalische Tanz doch häufig einen gewissen Fokus auf die Körpermitte. Viele Frauen hadern aber gerade mit dieser Region ihres Körpers, wenn sie nicht einem heute oft propagierten gertenschlanken Idealbild entspricht. Kann Yoga Oriental helfen, ein positiveres Verhältnis herzustellen?
Mit YOGS werden an erster Stelle die Sinne geschult, und mit den bewussten Bewegungen des Körpers im Fluss und mit der Geschmeidigkeit wird das Selbstbewusstsein gestärkt. Durch die neue Wahrnehmung des eigenen Körpers wird man entspannter, gelassener und zufriedener.
Semy Gutman hat eine Bühnen- und Tanzausbildung und studierte eingehend die verschiedenen Formen des Orientalischen Tanzes.