Im Winter ist die herbstliche Entblätterung der übers Jahr geschaffenen Formen und Bewegungen als Ausdruck unserer lebendigen Schöpfungsträume vollbracht. Die gefallenen Blätter bedecken als dichte Laubschicht, als Gewesenes, den Boden für das in unserer Erdenwelt Erschaffene und werden so zum „Ur-Laub“ für das Sinnhafte und die sinnlichen, sprich verausgabenden Kräfte des Lebens. Nun offenbaren sich alle Formen in ihrer Klarheit und auf das Wesentliche reduziert. Den Rückzug von den sinnesbindenden Eindrücken und Reizen nennt man im Yoga Pratyahara. Pratyahara ist eine wichtige Stufe auf dem Weg zu Meditation und Samadhi, also ein wesentliches Tor, das es auf dem Pfad der Entblätterung, wer wir in unserem Wesen wirklich sind, zu durchschreiten gilt. Hat der Yogi die Welt der Sinnesanhaftungen hinter sich gelassen, nähert er sich dem Weltenraum des Winterlichen.
Winter, ursprünglich mit der Klangvibration „Fintor“ angesprochen, bedeutet bildlich „das weiße Tor“, oder „das Tor zur Weisheit“, aber auch: „die Weisheit finden“, und lässt damit die Zeit des „In-sich-Findens“ anklingen.
Im dämmernden Winterlicht verspürt der Weisheitsfinder schon bald den eiskalten Hauch des Sterbens. Es sind die letzten Krusten des Egos, des Ichhaften, der noch klebrigen Bindungen an das Vergängliche, Sterbliche, Nicht-Ewige des Weltenraums, die nun noch einmal als Weltenschmerz aufscheinen. Denn der Weisheitsfinder ist im Begriff, das Nadelöhr der großen Einöde, der unermesslichen Leere der Sinneslosigkeit zu durchschreiten. An diesem Öhr sind Mut, Stärke, Reinheit, Gelassenheit, Hingabe und Vertrauen erforderlich. Meistert der Yogi diese Schwelle, ist er schließlich im „Winter“ seiner selbst angekommen und darf zum „Finder“ seines Wesens werden. Er darf sein Wesen schauen.
In der winterlichen Kristallwelt dieser klaren Wesensschau wandelt sich die Öde zur wonnevollen, anandischen Ode, die als der unhörbare Gesang des Ewigen im kristallklaren Spiegel unserer Seele vibriert und den leuchtenden Kristall unseres Wesens offenbart. Jetzt, so losgelöst von den Sinnen und dem Sinnhaften, ist unser Wesen in seinem „Prä-sens“ angekommen und erfüllt die Gegenwart ganz mit seiner erhabenen Anwesenheit. Es hat die „Sinn-flut“ vor dem Öhr zurückgelassen. Still und leise ruht der See unserer „See-le“ inmitten des „Seelen-krist-alls“. Es ist Weihnacht. Alles ruht in heiliger Stille. Alles ist erfüllt vom liebenden Urlicht des „Christ-alls“. Alles liebt ohne Bedingung – wie eine Sonne.