Traumasensibles Yoga gehört in den deutschsprachigen Ländern mittlerweile zu den Körpertherapien, die erfolgreich bei traumatischen Erfahrungen eingesetzt werden. Durch die behutsame Praxis dieser Form des Yoga können besonders bei komplexen Traumata umfassende Heilungsprozesse angestoßen werden und die unterbrochene Verbindung zum eigenen Selbst und zur Umwelt kann wiederhergestellt werden.
Der Begriff Trauma bezieht sich auf eine tiefgreifende körperliche oder seelische Verletzung. Für viele Betroffene ist ein Trauma eine Erfahrung, die den eigenen alltäglichen Horizont sprengt. Es gibt traumatische Erfahrungen, die für einen Menschen kaum zu bewältigen sind und die sich nachteilig auf die eigene physische und psychische Gesundheit auswirken. Eine Verarbeitung braucht Zeit, Liebe und Mitgefühl, aber auch Geduld, Ausdauer und Vertrauen in die eigene Heilung.
Verschiedene Arten von Traumata
Grundlegend unterscheidet man zwei Formen von Traumata: Schocktraumata und Entwicklungstraumata. Zu einem Schocktrauma gehören Unfälle, Naturkatastrophen, Tod eines geliebten Menschen, eine Diagnose, eine Vergewaltigung etc. Ein Entwicklungstrauma passiert meistens in den frühen Lebensjahren eines Menschen oder aber über einen langen Zeitraum hinweg während der Entwicklung eines Kindes. Die Heilung von Entwicklungstraumata ist wesentlich schwieriger und dauert länger als die Verarbeitung von Schocktraumata. Je früher ein Entwicklungstrauma passiert ist, je länger die Erfahrung gedauert hat und je enger die Beziehung zum Täter war, desto schwieriger und länger ist der Heilungsprozess.
Mögliche Auswirkungen eines Entwicklungstraumas
Die Auswirkungen eines Entwicklungstraumas können sich durch folgende Anzeichen bemerkbar machen:
- Permanentes Gefühl der Übererregung, das kompensiert wird durch ständigen Aktionismus
- Der Zugang zum eigenen Körper ist sehr schwer, oft auch gar nicht möglich
- Die eigenen Bedürfnisse zu erkennen ist ebenfalls schwierig
- Entscheidungen werden über den Intellekt getroffen, weil die Verbindung zur eigenen Intuition abgeschnitten ist oder man kein Vertrauen in das eigene Bauchgefühl hat
- Schlafstörungen oder Schlaflosigkeit
- Gefühlsausbrüche
- Konstantes Gefühl der Selbstunsicherheit
- Kein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten
- Schwierigkeiten, anderen Menschen zu vertrauen
Heilung auf verschiedenen Ebenen
Traumasensibles Yoga wird gerne als flankierende Maßnahmen zu einer professionellen Psychotherapie verwendet, weil es Betroffene auf verschiedenen Ebenen berührt. Körper, Seele und Geist werden gleichermaßen angesprochen und die Übungen führen dazu, dass wieder eine Verbindung zwischen diesen drei Ebenen hergestellt werden kann. Traumatisierte Menschen, die regelmäßig praktizieren, berichten, dass sie ihren Körper nach und nach wieder mehr spüren, nicht mehr so gefangen sind in den Gedanken und wieder eine Verbindung zu ihrer Seele herstellen können.
Die Voraussetzung für eine umfassende Heilung besteht darin, dass man bereit ist, sich nach Möglichkeit jeden Tag oder mehrmals die Woche auf eine regelmäßige Praxis einzulassen. Nur dann können im Gehirn neue neuronale Verbindungen geschaffen werden, die für die Gesundung notwendig sind. Wer sich aber auf den Weg macht, der wird früher oder später am eigenen Körper erleben, wie wohltuend es ist, wenn die permanente Übererregung nachlässt, der Schlaf besser wird und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Wahrnehmung zunimmt.
Die folgenden drei Übungen sind meiner Erfahrung nach besonders hilfreich bei Entwicklungstraumata. Bei meinen Kursteilnehmern sind sie sehr beliebt, ein unmittelbares Gefühl der tiefen Entspannung ist für sie gleich wahrnehmbar und für mich auch offensichtlich. Die Übungen, die in fließenden Bewegungen ausgeführt werden, unterstützen den Übenden darin, sich aus dem Gefühl der Starre lösen zu können und sich selbst wieder zu spüren.
Gerade die Mischung aus bewusster Körperwahrnehmung, Sanftheit und fließenden Bewegungen helfen traumatisierten Menschen, wieder zu sich selbst zurückzufinden. Das ist nämlich genau das Gegenteil zu einer traumatischen Erfahrung, in der der Betroffene sich vom eigenen Körper abspaltet, weil die Gewalt, die ihm zugeführt wird, unerträglich ist und er deshalb erstarrt und in der Erfahrung einfriert.
Solltest du selbst betroffen sein und die folgenden Übungen machen wollen, so ist es empfehlenswert, dir genügend Raum und Zeit zu nehmen.
1. Das eigene Herz berühren
- Komm in einen aufrechten Stand und nimm eine würdevolle Haltung ein.
- Die Füße sind parallel, das Becken ist aufgerichtet, Schultern und Nacken sind entspannt. Der Unterkiefer ist locker.
- Bring die Hände vor dem Herzen zusammen, die Handflächen berühren einander.
- Einatmend öffnest du die Hände ganz langsam zur Seite hin. Zähl hier innerlich bis 4.
- Ausatmend schließt du die Hände wieder. Zähl hierbei innerlich bis 6 oder 8.
- Wiederhol diese Übung einige Male und lass das Zusammenspiel von Bewegung und Atmung immer feiner werden.
- Beende die Übung, wenn du das Gefühl hast, dass du wieder mehr bei dir angekommen bist.
- Lass abschließend die Arme ganz entspannt neben den Körper sinken.
- Schließ die Augen und spür der Übung nach.
2. Sich selbst umarmen
- Komm in den Fersensitz.
- Leg deine rechte Hand auf die linke Schulter und die linke Hand entweder auf die rechte Schulter oder auf die rechte Flanke.
- Senk das Kinn Richtung Brust.
- Einatmend öffnest du die Arme zur Seite hin, hebst das Kinn vom Brustkorb und schaust geradeaus (vorausgesetzt, du möchtest diese Übung mit offenen Augen machen).
- Ausatmend führst du die Hände wieder zurück zum Körper, wobei die linke Hand jetzt oben ist und du die rechte Hand auf die linke Schulter legst oder die linke Flanke umfasst.
- Mit der nächsten Einatmung öffnest du dich wieder und mit der Ausatmung bringst du jetzt zuerst wieder die rechte Hand nach oben an die linke Schulter.
- Wiederhol die Übung so ein paarmal im eigenen Rhythmus.
Wenn du möchtest, kannst du natürlich eine Zwischenatmung einlegen, wenn du dich in der geöffneten oder geschlossenen Haltung befindest.
3. Öffnen und schließen im Kniestand
- Komm in den Fersensitz.
- Einatmend kommst du in den Kniestand und führst deine Hände über vorne Richtung Decke. Die Finger spreizt du weit auseinander.
- Ausatmend gehst du in die Stellung des Kindes und legst deine Arme vor dir am Boden ab.
- Einatmend kommst du zurück in den Kniestand und führst die Hände wieder über vorne nach oben.
- Ausamtend kommst du zurück in den Fersensitz.
- Wiederhol die Übung einige Male im eigenen Tempo.
Ich persönlich finde alle drei Übungen gleichermaßen wohltuend und wirksam – besonders dann, wenn sie regelmäßig gemacht werden.
Übrigens: Diese Übungen helfen natürlich auch Menschen, die keine traumatischen Erfahrungen gemacht haben. Sie unterstützen jeden Menschen darin, mehr zu sich zu kommen und zu erfahren, wie wichtig es ist, eine gesunde Balance zwischen Offenheit und Rückzug zu erlangen.
Hier noch zwei Buchtipps zum Thema:
- Dagmar Härle: Praxisbuch traumasensitives Yoga. Über die heilende Wirkung von Yoga bei komplexen Traumata. Junfermann Verlag 2016.
- Angela Dunemann, Regina Weiser, Joachim Pfahl: Traumasensibles Yoga – TSY. Posttraumatisches Wachstum und Entwicklung von Selbstmitgefühl. Klett Cotta 2017