„Es gibt keinen Yoga, noch gab es je oder wird es je einen geben, vergleichbar der göttlichen Frau.“
Shaktisangama-Tantra, II.52
Der Begriff „Shakti“ taucht in letzter Zeit häufiger im Umfeld der Yogapraxis auf. Das Wort weist auf eine weibliche Kraft hin – verheißungsvoll und schwer greifbar. Was ist mit dieser Shakti-Kraft in den alten indischen Schriften gemeint? Im Kontext des Yoga können wir ihr durch eine einfache Betrachtung auf die Spur kommen. Jeder Yoga ist in seiner tieferen Dimension ein Weg, der uns in Anbindung an die essenzielle Wirklichkeit zur Integration eines höheren Bewusstseins führt. Er beruht auf einem fortschreitenden inneren Wachstum und erfordert ein hohes Maß an konzentrierter Energie. Einige Pfade entfalten den Yoga vorwiegend aus der eigenen Kraft heraus. Andere werden von der Lehre und Präsenz einer spirituellen Persönlichkeit inspiriert oder erfahren die Berührung einer transzendenten Gegenwart. Und manche überlassen sich dem Fluss einer göttlichen Dynamik und lassen sich tragen, von den machtvollen Armen der Shakti, jener bewegten und bewegenden göttlichen Energie, die als gestaltgebender Aspekt der höchsten Wirklichkeit auch die innere Entwicklung begleiten kann.
Shakti ist ein zentrales Sanskrit-Wort der hinduistischen Tradition, das „Macht“ oder „Energie“ bedeutet. Es bezeichnet die große „Sie“ der indischen Spiritualität, jene intensive, urweibliche, archaische, tiefrote Kraft, der in Indien mit großer Ehrfurcht begegnet wird und die als weltengebärende göttliche Muttermacht eine innige Verehrung erfährt. Shakti ist die geheimnisvolle, legendenumwobene Matrix des gesamten Universums, aus der sämtliche Formen und Energien der kosmischen Realität hervorgehen, die sie im pulsierenden Rhythmus ihrer schöpferischen Leidenschaft konzipiert, hervorbringt, entfaltet und bewegt – und am Ende eines Daseinszyklus in das unmanifestierte Sein zurücknimmt. Sie stellt damit eine übergeordnete Wirkkraft von universeller Bedeutung dar, die keinesfalls nur auf den Hinduismus begrenzt ist. Doch im Gegensatz zur westlichen Sichtweise, die mit der weiblichen Energie eher ein passiv-empfangendes Wesen assoziiert, sieht der Hinduismus in ihr eine durchsetzungsfähige und ausdrucksstarke Bewusstseinsmacht, der er seit jeher aufs Innigste verbunden ist.
Die Shakti als schöpferische Kraft innerhalb des dualen Prinzips
Wer ergründen will, was Shakti zu ihrem gewaltigen Schaffen motiviert, muss einen Blick hinter die Kulisse ihrer kosmischen Bühne werfen. Denn Shakti ist nie allein. Sie ist stets die Kraft von ihrem als männlich erfassten Gegenpart, dem großen „Er“ der hinduistischen Spiritualität, […]