Kennst du das: Du beschäftigst dich mit einem Thema und plötzlich begegnet es dir überall. Du fängst an, Yoga zu machen, unterhältst dich mit anderen Menschen darüber und merkst, dass die Welt voll von Yogapraktizierenden, Yogabüchern und Yogalehrern ist. So ergeht es mir gerade mit dem Thema „Stille“.
Das mag daran liegen, dass ich ein wenig Stadtmüde geworden bin und der ewige Autolärm mein Bedürfnis nach Stille noch einmal maßgeblich verstärkt hat. Vor kurzem habe ich bereits einen Blog-Artikel zum Thema Stille geschrieben. Und vor einigen Tagen habe ich die Verlegerin Ursula Richard getroffen, die mir vom Werk Das Buch der Stille vorgeschwärmt hat, das sie in ihrem kleinen Verlag herausgegeben hat. Ursula hat so sehr von dem Buch geschwärmt, dass ich es gleich auch gelesen habe und sie nur bestätigen kann. Jeder Leser dieses Buches wird die Stille noch einmal mehr lieben und schätzen.
Ich habe Ursula Richard ein paar Fragen zum Buch gestellt:
Doris Iding: Du hast Das Buch der Stille verlegt und es liegt dir sehr am Herzen. Was zeichnet dieses Buch in deinen Augen besonders aus?
Ursula Richard: Sara Maitland – in Großbritannien ist sie eine bekannte Schriftstellerin – entdeckt in schon gar nicht mehr so ganz jungen Jahren den tiefen Wunsch, aus ihrer bisherigen, sehr lauten Welt aufzubrechen und die Welt der Stille zu erforschen. Sie tut das mit einer Neugier und Offenheit, die ich total faszinierend finde. Sie lässt sich auf die Stille in ihren unterschiedlichsten Facetten mit Leib und Seele ein, beginnt mit einem 40-tägigen Rückzug, in dem sie erforscht, wie sich die Stille auf ihre Sinneswahrnehmungen, ihre Gedanken und Gefühle, ihre Körperlichkeit und auch Sinnlichkeit auswirkt; erkundet die Stille in Zen-Retreats und in der Wüste, beim Wandern und schließlich in ihrem Alltag in einem Haus in einer abgeschiedenen Moorlandschaft in Schottland, wo sie heute lebt. Sie folgt keinen Konzepten oder Glaubensvorstellungen über die Stille, sondern sie geht vorbehaltlos in dieses Gebiet – das erfordert Mut, und den bewundere ich sehr.
Aber dieses Buch beschreibt beileibe nicht nur ihre persönlichen Erfahrungen. Die Autorin findet in den Berichten von Mystikerinnen, Wüstenvätern, aber auch Polarforschern oder Weltumseglern viel Material, was sehr deutlich vermittelt, dass die Stille beglückend, nährend, erhaben, aber manchmal auch beängstigend ist. So gab es Weltumsegler, die später alles dafür taten, nicht gefunden zu werden, weil sie, vom Sog der Stille ergriffen, nicht mehr zurück wollten in die Welt des Lärms, die also der verschlingenden Kraft der Stille erlagen. Und all das – ihre persönliche Reise und die vielen Quellen, die sie aufspürt – macht das Werk für mich zu einem wirklichen Handbuch der Stille.
Warum brauchen die Menschen ein Buch wie dieses?
Aus zwei Gründen: Zum einen leben wir in einer so lauten Welt und einer Welt der Zerstreuung. Stille ist für viele zu einem Sehnsuchtsort geworden, allerdings haben wir oft nur ein sehr oberflächliches Verständnis davon, was Stille ist, denn sie ist ja so viel mehr als nur eine Abwesenheit von Lärm oder Geräuschen. Dieses Buch zeigt sehr schön die Vielschichtigkeit von Stille auf. Darüber hinaus macht es Mut, sich auf eine persönliche Reise in die Welt der Stille zu machen, so wie die Autorin es auch getan hat. Sie hat zwar einen christlichen Hintergrund, aber ihre Herangehensweise ist so undogmatisch und frei, stützt sich viel mehr auf Erfahrung als auf Glauben gleich welcher Art. Damit gibt sie ein wunderbares Beispiel einer erwachsenen Spiritualität in unserer heutigen Zeit. Sehr inspirierend und mutmachend.
Was hat sich durch dieses Buch für dich persönlich in Bezug auf die Erfahrung der Stille geändert?
Ich bin seit sehr vielen Jahren auf dem Zen-Weg unterwegs, bei dem Stille ja auch eine sehr große Rolle spielt. Das Sitzen in Stille ist beispielsweise sehr wichtig. Aber dabei ist die Erfahrung von Stille in eine bestimmte Struktur eingebunden. Sara Maitlands so persönlicher, individueller Weg hat mir Mut gemacht, über die traditionell vorgegebenen Wege hinauszugehen und meinen ganz eigenen Zugang zur Stille und zu vielen anderen Aspekten des spirituellen Weges zu suchen. Krishnamurti hat einmal gesagt, die Wahrheit sei ein pfadloses Land, das heißt, kaue ich nur bereits Vorgegebenes nach oder folge den Fußspuren anderer, verfehle ich den Weg, der sich mit jedem Schritt erst entfaltet und verpasse damit auch so etwas wie Wahrheit. Sara Maitlands Buch hat mich sehr inspiriert, mich in dieser sehr freien Weise noch einmal auf den Weg zu machen und dabei vieles von meinem früheren Gepäck nicht länger mit mir herumzuschleppen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zum Weiterlesen:
Sara Maitland: Das Buch der Stille. Über die Freuden und die Macht von Stille, edition steinrich 2017