Ein Einblick in die Asana-Praxis des non-dualen Yoga in der tantrischen Kashmir-Tradition am Beispiel von Hrdayapradasana
Im klassischen Sinne ist Yoga die Kunst, von sich selbst aus zu sterben. Heutzutage wird er jedoch häufiger als eine Technik definiert, die darauf abzielt, besser zu leben. Einen Knoten zu lösen, um die Aufnahmefähigkeit zu erhöhen, kann – in bestimmten Fällen – vertretbar sein. Aber vermittels einer Disziplin um jeden Preis danach zu streben, alle Widerstände in Körper und Geist auszulöschen, ist nichts anderes als Gewalt. Einzig und allein eine Bewusstwerdung ohne jegliches Wollen kann eine Spannung wahrhaft auflösen, und nicht eine willkürliche Intervention, die durch eine Absicht genährt wird. Die Kunst, unsere wahre Natur durch eine rituelle Körperhaltung, Asana, zu zelebrieren, ist nur wenig bekannt. Die Kashmirische Yogakunst erkennt die Priorität des Archetypen in Bezug auf den Körper an. Es geht nicht darum, etwas zu erreichen oder zu „schaffen“, diese oder jene Haltung in einer relativen Hinsicht zu meistern, sondern sich all seiner Begrenzungen und Blockaden bewusst zu werden und den Mangel an Empfindsamkeit zu erkennen, der uns innewohnt und unsere wirkliche Körperlichkeit überdeckt. Eine Haltung öffnet ein Tor zu subtileren Ebenen der Wahrnehmung, wo es möglich wird, bestimmte feine Ausdrücke des Bewusstseins deutlicher zu erahnen. Das schöpferische Potenzial des Augenblicks, das sich in traditionellen Gesten kanalisiert, bringt eine tiefschürfende „Entleerung“ aller Gelenke und aller Abwehrmechanismen mit sich – bis die natürliche Durchlässigkeit des Körpers wiedergefunden ist.
Beispiel: Hrdayaprasadasana
Bei dieser außerordentlich lohnenswerten Haltung handelt es sich um eines der einfachsten Mahasanas (siehe Begriffserklärung im Kästchen) für Anfänger, auch wenn es Jahre dauert, bis man die versteckten Feinheiten entdeckt. Seltsamerweise ist sie in der Unterweisung, die man als klassischen Yoga bezeichnet, nicht zu finden. Dies zeigt, wie viel weniger bekannt die Technik des kaschmirischen Yogapfads im Vergleich zu seinem philosophischen Konzept geblieben ist.
Mahasana (wörtl. „große Haltung“, Anm. d. Red.) = archetypische Haltung. Die archetypischen Haltungen sind rituell und symbolisieren wirkungsvoll die Selbstentsagung. Ihre Eigenschaften sind frei von spezifischen Heilwirkungen, selbst wenn die Erfahrung dem teilweise zuwiderlaufen kann. In der Stille dargebracht, erfordern sie grundsätzlich eine Einsatzbereitschaft, die durch unzählige halbe Haltungen oder sogar viertel Haltungen vorbereitet wird.
Die Praxis
Je nach Wahl kann eine der Sitzhaltungen: Padmasana, Sukhasana, Siddhasana, […]