Was der Mensch sät, das erntet er. So lautet eine ewige spirituelle Weisheit. Die karmischen Früchte aus dieser Ernte formen den fruchtfleischigen Leib unseres feinen Seelenwesens während seiner Erdenzeit. Das Fruchtfleisch kann süß, aber auch bitter schmecken, meist ist es ein Gemisch aus beidem. Kann der Mensch leben, ohne zu säen und ohne zu ernten?
Da im Menschen die Gottnatur eines Schöpferwesens pulst, ist seine allererste Berufung die eines Säers, eines Sä-manns – eines Sa-mens. Der Mensch als „Sa-mensch“ oder „Menschensaat“ wie er in den alten Welten bezeichnet wurde, ist selbst ein Saatkorn Gottes, ein „Bindu“ in der Sprache der Yogis, ein winziger Samentropfen, der das gesamte All-Meer in sich trägt.
So wandelt der Mensch auf den Ackerfurchen des Lebens und sät seine Taten aus, sieht die Ernte, beäugt sie, bewertet seine Früchte als gut oder schlecht, entnimmt ihre Samen und legt dadurch gleichsam die Grundlage für eine neue Saat und eine neue Ernte. Und so weiter und so fort.
Und weil „sehen“ und „säen“ so seltsam gleich klingen, erschaffen sie durch diesen Gleichklang ein gemeinsames Schöpfungswerk, verschmelzen Säer und Seher zu einer karmischen Zweckgemeinschaft und erfüllen so das Gesetz des Karma.
Karma ist immer entweder freudvoll oder leidvoll – je nach dem Blickwinkel des Sehenden. Denn das Sehen mit Erdenaugen ist dem Winkeligen unterworfen, es wertet und rechnet unentwegt, mal mit spitzem, mal mit stumpfem „Winkel“, und treibt „wie’n Keil“ die Kräfte der Spaltung voran. Auf diese Weise werden die karmischen Samen der Eindrücke und Taten aus unzähligen unserer Leben in die Schlupfwinkel unserer karmischen Ackerkrume gelegt. Dort harren sie aus als schlummernde Schläfer sozusagen, als „Samskaras“, wie diese karmischen Eindruckssaaten von den Yogis geheißen werden, bis die Zeit ihrer Reife anklingt.
Samskaras sind im heiligen Flussbett der Shushumna-Nadi, im zentralen feinstofflichen Kanal in des Menschen Wirbelsäule verortet. Jenem Säulengang, durch den Gottes Tempel im Menschenwesen erbaut wird, und der mit Erdenaugen nicht gesehen, wohl aber mit Seelenaugen geschaut werden kann. Seine edle Baumeisterin wird im Yoga mit den Worten „Kundalini“ oder „Schlangenkraft“ oder „Heiliger Geist“ angesprochen.
Alles, was ein Mensch denkt und aus seinem Denken heraus zu einem Schöpfungsgedicht verdichtet und erschafft, ist aus einem solchen Samskara erkeimt. So ist der „Sams-kara“ auch ein „Sams-care“, ein Same, der sich karmisch um uns „sorgt“ – uns aber auch Sorgen bereiten kann. „Samskaras sind wie Perlen auf einer Schnur“, sagen die Yogis. Diese tragen wir von Inkarnation zu Inkarnation als Kette, als Andenken, als „Sou-venir“ vergangener Eindrücke, als das, „was aus der Tiefe kommt“, mit uns. Und weil Samskaras den Menschen ständig an etwas denken lassen, wird auf diese Weise die Welt aus Altem unentwegt neu erschaffen. Dies ist die Kraft von Tod und Wiedergeburt, von Vergänglichkeit und Schöpfung. Es ist der Samskara, der das Weltenrad des Samsara, das Rad von Werden und Vergehen, in Bewegung hält.
Es ist auch das Aufkeimen eines Samskara, wenn ein Mensch aus den schrillen Bewegungen seines Lebens heraus plötzlich und gnadenvoll in einen Raum tiefer, meditativer Stille zu fließen vermag. Und vielleicht ergibt sich im Erfahren eines solchen kostbaren Seeleninnenraums eine derart andächtige Seeleninnenschau, dass er wie durch Zufall zum stillen Zeugen einer aufgehenden Saat in seiner karmischen Ackerkrume wird. Vielleicht ist er so sehr über all die hier blühenden „Wunder-samen“ erstaunt, dass ein überaus feiner „Acht-samen“ in ihm erkeimen möchte und ein hinzukommender „Behut-samen“ ein unvermitteltes Aufrichten seiner vormals „acker-krumen“ Wirbelsäule bewirkt. Durch die plötzliche Aufrichtung der Wirbelsäule werden die samskarischen Perlen derart in Schwingung versetzt, dass sie sich in einem sinnesbetäubenden Scheppern, Rasseln und Klirren ergehen. In der Folge könnte es sich weiter zutragen, dass durch dieses samskarische Glasperlenspiel in den tiefsten Tiefen der muladharischen Wurzeln der Seele ein „Selt-samen“ erweckt wird und die erhabene Baumeisterin der Schöpfung, die Kundalini-Shakti – die dreieinhalbmal zusammengerollte Schlangenkraft – aus ihrem Schlaf erwacht. Sie scheint hungrig nach so langer Zeit des Schlafens. Zischend erhebt sie sich und beginnt mit der Ausrollung all der Rollenspiele unserer Persönlichkeiten. Feurig durchpflügt sie die Ackerfurchen unserer Leiber. Gierig verschlingt sie all die fauligen „Furcht-samen“, die unser wahres Wesen verpfropfen, und giftig bohrt sie ihre Zähne in die samskarischen Zwiebelknollen unseres Zweifels.
Nun ist der Boden bestellt. Auf diesem wird sie ihren kostbaren Lichttempel errichten. Sie wird ihn schmücken mit all der Erhabenheit ihrer göttlichen Schönheit und Weisheit. Mit all ihrer Liebe wird sie das heilige Abendmahl zubereiten zur heiligen Vermählung mit dem göttlichen All-Vater, den manch ein Yogi mit dem Namen Shiva so liebevoll besingt.
In andächtiger Stille und im sanften Licht reiner Lotusblüten erstrahlt jetzt der göttliche Tempel des Menschenwesens. Allein ist nur noch ein letzter Samenkern übrig geblieben: „Bindu“ genannt. Er befindet sich an jener geheimnisvollen und nur manchen Yogis bekannten Stelle am oberen Hinterkopf, die des Menschen Haare so seltsam wirbeln lässt. Von Erdenaugen unberührt, vermag der yogische Mensch durch sein innerstes Wesen Bindu zu berühren, hat er doch die giftigen Samen der Ichheit hinter sich gelassen. Bindu ist der „EIN-same“, der alle Welten, ob erschaffen oder nicht erschaffen, in sich birgt. Hier erfährt der Mensch sich ungetrennt als „Bin-du“, als „Ich-bin-du“. Bindu ist das letzte, nektar-ergießende Tor zu Sahasrara, dem tau-s-end-blättrigen Chakra der Krönung, wo Mensch und Gott ihre heilige Vermählung feiern.
Nun endet der Weg im „Tao-s-end“, und ganz all-ein verbleibt der Menschen-Yogi als EIN-same zurück.