So kannst du die Kraft der Sommerpflanzen in den Herbst mitnehmen: Kräuterbüschel sind eine traditionelle kleine Hausapotheke, hinter der ein Brauch steht, der dich stark mit der Natur verbindet
Es ist Mitte August. Im Eingang zu einer alten katholischen Kirche im Allgäu staunen Besucher aus Norddeutschland über eine beeindruckende, fast zwei Meter hohe Blumenskulptur. Sie besteht aus Rosen, Lavendel, Wiesenklee und anderen Blüten, auch Küchen- und Heilkräuter sind dabei. Fasziniert betrachten sie dieses fein gearbeitete, farbenfrohe Kunstwerk und fragen sich: Was ist das?
Die Antwort lautet: Das ist ein überdimensionales Kräuterbüschel. Mariä Himmelfahrt, gefeiert am 15. August, wird in Süddeutschland auch Kräuterbüschel- oder Kräuterboschentag genannt. Frauen und Mädchen pflücken am Vorabend im Garten und auf Wiesen Sträuße aus ungiftigen Kräutern und aus heilkräftigen Blüten, zum Beispiel Beifuß, Minze, Ringelblumen, Kamille, Schafgarbe, Salbei, Thymian, Rosen … Dabei soll nicht geschnitten, das heißt: kein Metall verwendet werden, denn dieses könnte den Pflanzen Kraft entziehen. Die Anzahl der unterschiedlichen Zutaten für das Büschel soll eine bedeutsame Zahl sein, etwa sieben (Tage der Woche), neun (dreimal die dreifache Göttin) oder mehrmals sieben, mehrmals neun.
Auf kunstvolle, individuelle Weise binden die Frauen die Pflanzen zusammen, häufig spiralig um eine Königskerze herum. (Die Blüten der Königskerze sind heilkräftig, sie wirken hustenlösend.) Dieser Brauch ist in Süddeutschland bis heute so verbreitet und bekannt, dass man sogar mit etwas Glück an einem Stand des schicken Münchner Viktualienmarktes ein Kräuterbüschel fachgerecht zusammengestellt und gebunden bekommt. In ländlichen Gärtnereien gibt es fertige Sträuße zu kaufen. All diese Sträuße, Büschel, Boschen, egal ob selbst gemacht oder käuflich erworben, werden an Mariä Himmelfahrt während eines Gottesdienstes geweiht, oder Frauen laden sie selbst bei einem Ritual in freier Natur auf. Dabei spielen die Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft eine wesentliche Rolle. Anschließend werden sie in der Wohnung oder im Haus zum Trocknen aufgehängt, wo sie Schönheit und Duft verströmen und an die volle Kraft der Sommer-Sonne erinnern. Im Herbst und Winter dann dienen sie der Gesundheit. Es kann aus Teilen davon Tee zubereitet werden, kranken Tieren können Teile ins Futter gemischt werden, es wird damit geräuchert – nicht nur, aber auch in den Raunächten – den Rauch-Nächten – Ende Dezember. Besonders kraftvoll ist der Rauch, wenn man zu den Kräutern Weihrauch-Harz hinzumischt. Krankenzimmer werden […]