Yogische Schriften sind zeitlos und weise. Sie zeigen uns den Weg zu unserem Herzen und zu unserem Selbst. Vorausgesetzt, wir lassen uns mit Haut und Haaren auf sie ein. Aber das tun wir als Yogapraktizierende ja sowieso ganz und gerne!
Wenn ich in den alten yogischen Schriften lese, bin ich immer wieder zutiefst berührt. Erst letzte Woche habe ich mich wieder von der Bhagavadgītā inspirieren lassen. Die Bhagavadgītā (Sanskrit, gīta – Lied, Gedicht; bhagavan – Herr, Gott), „der Gesang Gottes“ (ca. 600 v. Chr.) zählt zu den wichtigsten Texten Indiens und ist gleichzeitig eines der größten Weisheitsbücher der Weltliteratur. Sie enthält so viel Wissen über das Leben, das Sein und über Yoga, dass sie auch als Basis der Yogalehre angesehen wird. Sie ist von fast allen großen Yogameistern kommentiert worden, weil sie in deren persönlichem Leben eine wichtige Rolle gespielt hat. Aber auch Millionen Inder lesen in der Gita und auch in westlichen Yogalehrerausbildungen gilt sie als Pflichtlektüre.
Die Bhagavadgītā wird gerne als ein Leitfaden für einen spirituellen Alltag betrachtet. Sie unterstützt Yogis darin, ein zielbewussteres und erfüllteres Leben zu führen und dabei ganz aktiv in der Welt zu verweilen – sich aber nicht in ihr und den vergänglichen Schönheiten und Gütern des Alltags zu verlieren. Ein besonderes Augenmerk liegt darauf, wie wir Schmerz und Kummer aus unserem Leben verbannen und zufriedener werden können. Auf den Punkt gebracht empfiehlt sie uns, die yogische Übung an erste Stelle zu setzen und regelmäßig und aus ganzem Herzen zu praktizieren! Eine ganz schöne Herausforderung. Besonders dann, wenn der Alltag wieder einmal so viele Ablenkungen bereithält.
Aber, und das betont auch Yogananda in seiner Autobiografie: Es lohnt sich, den Anweisungen der Bhagavadgītā zu folgen! Denn nur dann, wenn wir uns ganz auf das Göttliche ausrichten, können wir so viel innere Stärke und Klarheit entwickeln, dass wir den ganzen Ablenkungen widerstehen können.
Die verschiedenen Yogawege
Um dieses Ziel zu erreichen, bietet die Bhagavadgītā zahlreiche Yogawege an: Karma-Yoga, Jnana-Yoga und Bhakti-Yoga.
Karma-Yoga – aktiv in der Welt handeln
Es heißt, dass sich der Geist auf diesem Weg am schnellsten reinigt und seine Grenzen transzendiert. Einfach ist der Weg aber – zumindest in meinen Augen – nicht wirklich. Denn: der Karma-Yogi arbeitet, ohne auf die Früchte seines Handelns zu schauen. Er tut stattdessen das, was er tut, zum Wohl aller Wesen. Er dient, ohne dafür belohnt werden zu wollen und in der Vielheit die Einheit zu sehen. Dadurch erst wird es ihm möglich, auf einer tiefen Ebene die Verbundenheit mit der göttlichen Essenz unmittelbar zu erfahren. Jener Essenz, die allem zu Grunde liegt.
Es heißt, dass Karma-Yoga sich besonders für solche Menschen eignet, die gerne aktiv sind und die gerne in der Welt arbeiten und dabei etwas von sich geben. Allerdings ist damit auch gemeint, dass die Arbeit im eigentlichen Sinne auf der spirituellen Ebene stattfindet.
Aufpassen sollten aber diejenigen, die sowieso die Tendenz haben, sich für andere aufzuarbeiten und ihre eigenen Grenzen nicht kennen. Wer also die Tendenz hat, allen Menschen seine Hilfe anzubieten, um sich auf diese Weise Anerkennung und Liebe zu erhoffen, der sollte lieber einen anderen Weg wählen. Zum Beispiel den Weg des Bhakti-Yoga. Empfehlenswert ist der Weg des Karma-Yoga hingegen für solche Menschen, die sich selbst gerne an die erste Stelle stellen. Oder aber für solche, für die Arbeit immer einen Sinn haben muss und die Arbeit immer mit Leistung gleichsetzen. Tun wir etwas für andere, ohne einen Nutzen daraus ziehen zu wollen oder dafür belohnt zu werden, erkennen wir die Verbundenheit mit allem und zwischen allem – und sehen das Göttliche, dass allem zugrunde liegt.
Bhakti-Yoga – Liebevolle Hingabe an das Leben
Dieser Weg wird besonders gerne von gefühlsbetonten Menschen begangen, empfiehlt sich in meinen Augen aber auch besonders für diejenigen, die sich schwertun, Zugang zu den eigenen Gefühlen zu finden. Denn: wir können unsere Gefühle nicht permanent unterdrücken. Bhakti-Yoga rät uns, sie zu verwandeln. Durch verschiedene Methoden, wie Singen, Beten und das Wiederholen von Mantras wird die emotionale Energie der Gefühle in Hingabe transformiert, sodass Zorn, Hass und Eifersucht in eine positive, konstruktive Richtung gelenkt werden können. Emotionale Liebe verwandelt sich dabei zu reiner, göttlicher Liebe, da Bhakti-Yoga in allem Gott sieht.
Krishna Das, der sowohl in unserer Print-Ausgabe als auch online bereits in Interviews zu Wort kam, ist in meinen Augen ein gutes Beispiel für einen Bhakti-Yogi. Er singt mit einer solchen Hingabe, dass mein Herz immer weit und offen wird, wenn ich ihn sehe. Und noch offener wird, wenn ich mich seinen Kirtans hingebe und mitsinge.
Jnana-Yoga – Der geistige Weg zum Erwachen
Dieser Yogaweg, der eine philosophische und intellektuelle Methode zur spirituellen Entwicklung aufzeigt, beschreibt die Welt als eine Illusion. Mit Hilfe von zwei wirkungsvollen intellektuellen Methoden, Viveka – dem Unterscheidungsvermögen und Vairagya – der Objektivität werden die Schleier der Illusion bzw. wird Maya gelüftet. Jnana-Yoga gilt als der schwierigste der Yoga-Wege und erfordert einen sehr scharfen Geist und klaren Verstand.
Vivekananda hat diesen Yoga-Weg ausführlich in seinen Schriften dargelegt. Dabei beschreibt er, dass derjenige, der wahre Erkenntnis über das Sein gewinnen will, Vorbereitung braucht: Ungestörte Konzentration, Unbeeinflussbarkeit durch äußere Dinge, festen Glauben und ununterbrochene Übung, um das Denken zu beherrschen.
Besonders gerne gegangen wird dieser Weg von Menschen, die tendenziell eher intellektuell sind und geistige Höhenflüge lieben. Meiner eigenen Erfahrung nach besteht hier allerdings die Gefahr, dass es bei einem geistigen Höhenflug bleibt, die tiefen Wahrheiten des Yoga aber nicht wirklich vom ganzen Sein durchdrungen werden. Deshalb tut man gut daran, die Schriften dann auch mit dem Herzen zu studieren.
Vielleicht spricht Dich jetzt ganz spontan ein Weg an und inspiriert Dich dazu, Dich intensiver mit einer dieser Methoden zu beschäftigen und sie zu praktizieren. Idealerweise sollte man nach Möglichkeit alle Wege gehen und sie nach und nach miteinander verbinden. Denn nur dann, wenn wir alles miteinander verbinden, erfahren wir die Vollkommenheit und die eine Quelle, die allem zu Grunde liegt.