Oftmals sind wir so auf die äußere Form eines Asana oder eines Meditationssitzes konzentriert, dass wir den Kontakt mit dem verlieren, worum es wirklich geht: Innere Ruhe und Gelassenheit. Was passieren kann, wenn wir zu sehr an Vorgaben festhalten, erfährst du hier.
Vor einigen Jahren habe ich eine Fortbildung für Yogalehrer zum Thema Achtsamkeit und Meditation gehalten. Mit dabei war eine sehr attraktive Yogalehrerin. Ihre Kleidung saß perfekt. Die Meditationsmatte und ihr Kissen waren schön und edel. Ebenso ihre Haltung: Der Rücken gerade, das Kinn leicht zur Brust gezogen und die Hände im Chin-Mudra auf ihren Oberschenkeln. Sie setzte sich sofort in einen Meditationssitz, der ebenfalls perfekt war. Kein Wunder, ist sie doch die Ehefrau eines Lehrers, dem eben diese korrekte Haltung sehr am Herzen liegt.
Als wir mit der ersten Meditation begannen, passierte, was so gerne geschieht, wenn wir in Ruhe meditieren wollen: Es wurde laut! Und zwar richtig laut! Eine Wohnung im Stockwerk unter uns wurde saniert und die Handwerker begannen damit, Löcher in die Wände zu bohren. Ich musste lächeln und wurde jetzt so richtig neugierig, wann die erste Beschwerde aus den Reihen der TeilnehmerInnen laut werden würde. Bereits nach nur zehn Sekunden sprang die attraktive Yogalehrerin wie von der Tarantel gestochen auf und verlies den Raum. Die meisten anderen Teilnehmer, von denen nicht alle eine gute Meditationshaltung hatten, blieben hingegen ruhig und bei sich.
Einige Minuten später wurde es wieder still. Kurz darauf kam auch die Yogalehrerin zurück in den Raum und da sie sah, dass ich die Meditation in der Zwischenzeit beendet hatte, sagte sie strahlend: „Ich habe den Bauarbeitern gesagt, dass sie nicht weiterarbeiten dürfen, weil wir in Ruhe meditieren wollen.“ Daraufhin entgegnete ich ihr: „Und ich habe die Bauarbeiter für viel Geld engagiert, damit sie euch zeigen können, wie unmittelbar wir gegebenenfalls auf äußere Reize reagieren.“ Alle lachten. Die attraktive Yogalehrerin zum Glück auch.
Entspann dich
Menschen wie diese Yogalehrerin begegnen mir immer wieder. Yogalehrer, Meditierende, Buddhisten, MBSR-Lehrer oder Yogateilnehmer, die primär mit der Perfektionierung einer äußeren Haltung oder der formellen Einhaltung von Ritualen beschäftigt sind, während sie Yoga machen, meditieren, beten oder Asanas üben. Ich selbst gehörte auch dazu. Ich nahm an einem mehrtägigen Meditationsretreat teil und dachte, dass ich der Erleuchtung ein Stückchen näherkomme, wenn ich einen idealen Meditationssitz einnehmen würde. Aber ich fand ihn nicht, weil mir der Rücken weh tat, die Füße einschliefen und ich nicht wirklich loslassen konnte.
Meine damalige Lehrerin sah mich – und auch andere Teilnehmer des Retreats – denen es ähnlich ging und meinte irgendwann: „Entspannt euch!“ In dem Moment fiel eine große Last von mir und ich konnte endlich mit der Meditation beginnen. 😊
Im Nachhinein erschien es mir vollkommen logisch, dass wir nicht zur Ruhe kommen können, wenn wir an einer äußeren Form festhalten und unseren Fokus darauf richten. Wie soll sich eine Seele in einem angespannten Körper entfalten? Wie soll die Energie aus unserer Quelle sprudeln, wenn wir verkrampft sind und primär damit beschäftigt, alles richtig machen zu wollen, anstatt uns dem mit Haut und Haaren vollkommen hinzugeben? Wie sollen wir Gott begegnen, wenn wir primär mit der Einhaltung von Vorgaben, Techniken und Instruktionen beschäftigt sind, aber gar nicht wissen, ob sie zu uns passen?
Seit diesem Retreat ist meine Meditation eine andere. Ich fühle mich wohler in mir und etwas in mir kann auch viel leichter loslassen. Heute weiß ich, dass es kein gut und kein schlecht, kein richtig und kein falsch gibt. Es gibt einfach immer nur die Erfahrung, die ich jetzt gerade mit mir in diesem Moment mache. Und genau dadurch lerne ich mich besser kennen und lieben.
Damit gemeint ist natürlich nicht, dass man alle Regeln aufgeben sollte. Bestimmte Richtlinien oder Vorgaben wie zum Beispiel eine aufgerichtete Wirbelsäule bei der Meditation ist genauso sinnvoll, wie die Empfehlung nach Möglichkeit immer zur gleichen Tageszeit und am gleichen Ort zu meditieren.
Mit dem Herzen praktizieren
Halten wir uns zu sehr an äußere Vorgaben und Regeln, verlieren wir meiner Ansicht nach den Kontakt zu unserem inneren, eigenen Kompass, der uns sagt und spüren lässt, was uns guttut und was nicht. Nicht umsonst hat Buddha gesagt: Töte den Buddha im Außen! Für mich bedeutet diese Aussage, dass wir nicht alles für in Stein gemeißelte Weisheiten halten sollen und stattdessen beginnen, mit eben diesen Dingen zu spielen. So wie der Narr, der frei ist und mit allem spielt.
Für viele Menschen ist das gar nicht so leicht, aber wenn wir uns dies trauen, tun wir einen Schritt in die eigene Freiheit und beginnen, den Weg unseres eigenen Herzens zu gehen. Und nur unser Herz kennt den Weg zu unserer eigenen innersten Quelle.
Haben wir diesen Weg gefunden, dann können wir ihn genießen, weil wir dann frei werden. Und dann können wir in einem weiteren Schritt auf unserem Weg auch den Narren in uns loslassen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zumindest für mich.