Die eigene Meinung zu sagen, ist eine große Kunst. Zu scharf, zu persönlich, zu verletzend kommt sie häufig beim anderen an. Hier erfährst du, wie du lernen kannst, zu dir zu stehen und zum Beispiel einem Yogalehrer ein Feedback zu seiner Arbeit zu geben.
Vor einigen Wochen war ich auf einem Yoga-Retreat. Man hatte mich dazu eingeladen, um darüber zu schreiben. Die Vorankündigung versprach viel, die Yogalehrerin aber hielt relativ wenig davon ein. Darüber hinaus vermittelte sie mir das Gefühl, dass sie das, worüber sie sprach, nicht wirklich von innen heraus erfahren, sondern irgendwo aufgeschnappt hatte. Das erstaunte mich ebenfalls, weil sie die Besitzerin einer Yogaschule ist.
Viele Teilnehmer dieses Retreats waren besonders von ihrer Schönheit angetan und schienen sie alleine deshalb vorbehaltlos zu lieben und aufgrund ihrer ästhetischen Bewegungen für eine begnadete Yogalehrerin zu halten. Andere Teilnehmer, die durch die Ausschreibung zum Retreat kamen, waren sichtlich verärgert, dass die Yogalehrerin bei weitem nicht die Übungen und Meditationen machte, die sie angekündigt hatte.
Es braucht Mut, die eigene Meinung zu vertreten
Mein Ärger hielt sich aufgrund der Einladung in Grenzen, ich konnte aber den Unmut einiger Teilnehmer verstehen, da das Retreat sehr viel Geld gekostet hatte und nun nicht das erfüllte, was ausgeschrieben war. Als wir am letzten Abend alle in einer Feedback-Runde zusammen saßen, meldeten sich zuerst drei enge Schülerinnen und überschütteten die Lehrerin mit Lob. Danach stimmten auch die anderen in Lobes- und Dankesreden ein, doch keiner brachte das zur Sprache, was ihn die ganze Woche über geärgert hatte.
Es war spürbar für mich, dass die meisten der Teilnehmer ziemlich große Angst davor hatten, ihre eigenen Eindrücke der vergangenen Woche wiederzugeben und zu dem zu stehen, was sie selbst als unangemessen oder fachlich unzureichend empfunden hatten. Irgendwie wunderte es mich aber auch nicht, dass sich keiner traute, die eigene Meinung zu vertreten. Schließlich hatten die ersten drei Schülerinnen den Tenor der Abschlussrunde vorbestimmt – und wer ist schon gerne der Miesepeter, besonders am letzten Abend eines Retreats?!
Davon abgesehen: Die meisten von uns haben nie gelernt, sich öffentlich zu ihrer eigenen Meinung zu bekennen oder diese selbst dann zu äußern, wenn alle anderen nicht der gleichen Meinung sind. Zudem: Im Yoga wollen wir doch alle immer besonders nett zueinander sein. Aber geht es bei Yoga nicht auch genau darum, dass wir ehrlich sind?!
1. Entspann dich
Ich selbst merkte innerhalb der Yoga-Woche, dass mir die Lehrerin immer wieder mit ihren unfundierten Aussagen auf die Nerven ging. Es war für mich eine große Herausforderung sie innerlich nicht die ganze Zeit abzuwerten. Ich konnte es körperlich spüren, wie sehr ich mich über sie ärgerte. Und hier begann die erste Übung: Mit einem offenen Herzen ruhig, offen und wertfrei bleiben!
Jedes Mal, wenn ich innerlich zumachte, weil mir ein Kommentar nicht gefiel, bemerkte ich dies in meinem Körper. Ich versuchte, diesen wieder zu entspannen und mein Herz erneut weit werden zu lassen. Dies gelang mir über eine lange und bewusste Ausatmung. Das allein machte es mir möglich, mich immer wieder in den Moment zurückzuholen und wohlwollend zu bleiben. Während ich früher in solchen Situationen körperlich immer angespannter wurde und sich aus dieser Anspannung heraus zahlreiche destruktive Gedanken bildeten, gelang es mir jetzt, meinen Körper immer wieder zu entspannen und über diese Entspannung in den gegenwärtigen Moment zurückzukommen. Und neben dieser körperlichen Entspannung stellte ich etwas Bemerkenswertes fest: anstatt die ganze Person abzulehnen, weil mir etwas nicht gefiel, reduzierte sich mein Unbehagen jetzt nur auf diesen einen Aspekt ihrer in meinen Augen unqualifizierten Aussage über die Chakras. Und genau diesen einen Aspekt sprach ich dann auch in der Abschlussrunde an und zwar so, dass ich das Chakra-System anders gelernt und auch persönlich anders erfahren habe.
Auch in diesem Moment sorgte ich dafür, dass mein Körper entspannt blieb und mein Herz offen war. Dadurch konnte ich der Lehrerin locker begegnen – und sie mir auch. Stehen wir hingegen wie ein geladenes Pulverfass vor einem Lehrer –oder einem Kollegen in der Arbeit, oder dem Partner – weil uns etwas nicht passt, wir anderer Meinung sind, uns ausgenutzt oder übersehen fühlen, dann nimmt unser Gegenüber die ganze Spannung wahr und geht gleich unbewusst in eine Abwehrhaltung.
2. Überprüfe deine Absicht
Der wohl wichtigste Aspekt beim Geben oder Erhalten von Feedback ist für mich die Absicht dahinter. Ich persönlich bin immer sehr dankbar dafür, wenn mir ein Teilnehmer am Ende eines Seminars oder einer Fortbildung ein konstruktives Feedback gibt, und anspricht, was ich beim nächsten Mal besser machen kann. Ehrlich gesagt ist mir so ein Feedback viel wichtiger, als wenn sich die Teilnehmer für die schönen Stunden, Tage oder Wochen bedanken und sich mit dem zurückhalten, was ihnen gefehlt hat oder was ich nicht so gut oder glaubwürdig vermittelt habe.
Ganz wichtig dabei ist für mich die Absicht, mit der mir ein Teilnehmer das Feedback gibt. Eine wohlwollende Anregung ist in meinen Augen etwas Wunderbares und bringt sowohl mich als Lehrerin als auch den Schüler ein Stück weiter. Mich als Lehrerin dahingehend, dass ich wieder etwas dazugelernt habe und den Schüler dahingehend, dass er sich traut, seine eigenen Empfindungen und seine eigenen Bedürfnisse klarer zu benennen und zum Ausdruck zu bringen.
Übrigens kann man daran auch erkennen, wie gut ein Lehrer ist. Ein Lehrer, der unfähig ist, Kritik entgegenzunehmen und impulsiv oder aggressiv darauf reagiert, ist meiner Einschätzung nach nicht wirklich ein guter Lehrer.
3. Entwickle Güte und Mitgefühl
Wenn wir achtsamer werden und uns selbst mit einem offenen, ruhigen und freundlichen Gewahrsein betrachten, dann erkennen wir die Tendenz des menschlichen Geistes, uns selbst und andere gerne zu kritisieren. Wenn wir diese Tendenz in uns bereits wahrnehmen, dann kann sich die Kritik an einem Lehrer schnell wieder relativieren. In der Achtsamkeit spielt das Nicht-Urteilen und Nicht-Werten eine große Rolle, gleichzeitig ist es aber auch immer wieder gut, eine Lehre oder einen Lehrer zu überprüfen, so wie Buddha es seinen Schüler empfahl. Überprüfen wir ihn mit Güte und Mitgefühl, dann wird unser Urteil weicher ausfallen, als wenn wir ihn mit einem Gefühl des Hochmuts überprüfen oder Neid, Eifersucht oder Ärger unseren Blick trüben.
4. Akzeptiere, das andere anders sind
Es gibt Tausend verschiedene Arten Yoga zu unterrichten und jeder Stil hat seine Berechtigung. Deshalb ist es für mich immer wieder wichtig, den Blick zu weiten und andere in ihrem Anderssein zu lassen. Wenn sich eine Kritik auf sachliche Aspekte bezieht und diese auch begründet werden können, dann ist dies wunderbar und für alle zielführend. Geht mir hingegen die Stimme eines Lehrers auf die Nerven oder kann ich mit seinem Stil nichts anfangen, so ist dies eine andere Sache und hier tue ich gut daran, wenn ich mich selbst überprüfe und frage, warum genau ich einen Lehrer kritisiere.
5. Feedback dorthin, wo es hingehört
Immer wieder erlebe ich, dass Menschen schnell mit Kritik dabei sind, sich in langen Gesprächen mit anderen Teilnehmern oder Schülern über das Fehlverhalten oder die anscheinende Unfähigkeit eines Lehrers auslassen. Aber sehr selten bin ich Zeuge, dass ein Teilnehmer den Mut hat, dem Lehrer mit einer wertschätzenden Haltung entgegenzutreten, ihm in die Augen zu schauen und seine Kritik zu äußern. Auch das ist Yoga: Mutig sein und das Feedback dorthin zu bringen, wo es hingehört!
Wenn wir körperliche Entspannung trainieren, geistige Klarheit und ein gütiges und weites Herz kultivieren, werden wir uns in unseren Lehrer-Schüler-Beziehungen leichter tun, in einen konstruktiven Dialog zu treten und erkennen, dass diese Klarheit und Offenheit nicht nur zu unserem eigenen Wohl beiträgt, sondern zum Wohl aller Beteiligten und damit auch letztendlich immer zum Wohl aller Wesen.