Du musst als Lehrer nicht von allen geliebt werden. Manchmal passen die Wünsche der Teilnehmer einfach nicht mit dem Stil des Lehrers zusammen. Schwierig wird es allerdings, wenn ihr Zeit zusammen verbringen müsst. Aber auch dann kann Yoga dir dabei helfen, eine solche Situation gut zu meistern. Wie dies möglich ist, erfährst du hier.
Es geht ums Loslassen. Und wenn wir loslassen, werden wir geschmeidig, weich und ganz von selbst biegsam. Und wenn wir Yoga seiner Selbst wegen machen, dann ist es auch erfahrungsgemäß egal, welche Haltungen wir machen.
Im Sommer 2018 habe ich im Süden Europas eine Yogagruppe geleitet. Aus der Beschreibung der Ankündigung ging ganz klar heraus, dass es sich hierbei um eine ruhige Yogapraxis – Yin Yoga – mit viel Meditation handelt. Anscheinend hatten aber leider nicht alle Teilnehmer des Kurses die Beschreibung des Kurses genau durchgelesen. Zwei Teilnehmer hatten sich auf dynamisches Yoga – also auf viel Bewegung gefreut.
Die Erfahrung, dass Teilnehmer einen Yogaurlaub buchen, ohne sich genau über das zu informieren, was sie erwartet, mache ich – und machen auch Anbieter von Yogareisen immer wieder. Eine solche Situation kann natürlich zu Anspannung und Unzufriedenheit führen.
Wir nehmen uns überall mit hin – auch auf die Matte
Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass besonders leistungsorientierte Menschen die Tendenz haben, auch ihre Yogapraxis danach zu bemessen, wie erfolgreich sie auf der Matte sind. Kommen sie gut und tief in Haltungen hinein, haben sie das Gefühl, „gute“ Yogis zu sein. Ist es ihnen nicht möglich, bestimmte Haltungen zu machen, überkommt sie schnell das Gefühl, noch mehr üben zu müssen oder noch besser werden zu müssen.
Andere glauben wiederum, dass sie erst dann „richtig“ Yoga gemacht hat, wenn sie am Ende der Stunde so richtig erschöpft sind. Und wieder andere sind davon überzeugt, dass sie erst dann Yoga gemacht haben, wenn sie mindestens 12 Sonnengrüße geübt haben, oder aber wenn Kopfstand, Handstand, Krähe oder Skorpion in der Stunde dabei waren. Mir ist aufgefallen, dass besonders jene Menschen, die im Berufsleben sehr leistungsorientiert sind, diese Tendenzen haben. Erfahrungsgemäß tun sie sich aber selbst besonders dann einen Gefallen, wenn sie alle Ansprüche, allen Druck und alle Erwartungen an sich selbst loslassen und versuchen, einfach mal ganz entspannt zu sein.
Zur Ruhe kommen
Als ich also einzelne Teilnehmer am Morgen des zweiten Tages beim Verlassen des Raumes fragte, wie es ihnen mit der Praxis gehen würde, schaute mich eine große, leicht stämmige Frau völlig entsetzt an und meinte: „Ich will YOGA machen!“. Dabei warf sie ihre Hände gen Himmel. Sie schaute mich mit einem leicht aggressivem Blick an, in dem ich zu lesen glaubte: „Also ich weiß, was Yoga ist. Du anscheinend nicht!“
Am kommenden Abend änderte ich meinen Stil und bot den Teilnehmern unterschiedlichste Variationen der einzelnen Übungen an. Die Frau, die mich am Morgen so entsetzt angesehen hatten, und ihr Ehemann gingen während dieser Yogaeinheit gleich immer in die Fortgeschrittenenhaltung. Das wunderte mich sehr, da der Mann einen offensichtlich sehr unbeweglichen Rücken hatte. Und dass, obwohl er seiner eigenen Aussage nach bereits seit vielen Jahren Yoga praktiziert.
Auch am darauffolgenden Morgen machte ich eine dynamischere Sequenz als ich eigentlich vorgehabt hatte und bot hier ebenfalls noch Steigerungsmöglichkeiten der einzelnen Haltungen an. Schließlich wollte ich aus dieser sehr inhomogenen Gruppe eine mögliche Einheit schaffen. Während alle anderen Teilnehmer sich immer wieder kleine Pausen gönnten oder in Savasana ruhten, powerte das Ehepaar durch. In dieser Stunde erwähnte ich ganz nebenbei, dass eine Yogahaltung – im Sinne Patanjalis – dann vollendet ist, wenn sie leicht und stabil ist. Diese Aufforderungen hielt die beiden aber nicht davon ab, alle Übungen so angespannt auszuführen, dass ihre Beine und manchmal auch ihre Arme zitterten. Und meine Anmerkung, dass Yoga– ebenfalls im Sinne Patanjalis – bedeutet, dass die Aktivitäten des Geistes zur Ruhe kommen – schien sie ebenfalls nicht zu erreichen. Auch am Ende dieser Stunde fragte ich die beiden beim Verlassen des Raumes wieder, wie es ihnen mit den Übungen ergehen würde. Wieder schaute die Frau gereizt an und meinte: „Yoga will ich machen! Richtiges Yoga!“
In diesem Moment realisierte ich, dass ich die Frau und ihren Mann nicht erreichen konnte, und ich im Begriff war, die anderen Teilnehmer zu überfordern. Ich hatte mich von ihrem inneren Druck anstecken lassen und versucht, mich ein wenig zu verbiegen. Dies war eine spannende Erfahrung zu mich. Wie schnell überträgt sich doch der Druck eines Menschen auf andere.
Dem Purusha in uns ist es egal, was wir tun. Entscheidend ist die Haltung. In der Haltung, mit der wir etwas machen, liegt mehr Freiheit, als darin, was wir tun. Wenn wir das einmal in der Tiefe verstanden haben, sind wir frei – und können tun, was immer wie wollen.
Nach dem Frühstück suchte ich das Paar auf und bat sie höflich, die Yogahalle vor meinem Unterricht oder im Verlauf des Tages zu nutzen, um „Yoga“ zu machen. Ich bat sie auch, die Beschreibung meines Kurses noch einmal genau zu lesen und diese zu respektieren.
In den darauffolgenden Stunden gingen sie nur einmal vor uns in den Yogaraum. Ich kehrte wieder zu meinem Stil zurück. Es ist ein Stil, der die Teilnehmer einlädt, sich selbst ganz bewusst wahrzunehmen und einfach mal loszulassen – allen Leistungsdruck, alle Erwartungen und vor allen Dingen auch allen Stress, den sie von zu Hause mitgebracht haben.
Zum Glück konnte sich nun auch das Ehepaar darauf einlassen. Dafür war ich sehr dankbar. Am Ende der Ferienwoche waren wir schließlich eine Gruppe, in der sich alle miteinander sehr wohlfühlten.
Auch wenn es das Ego streichelt, wenn alle zufrieden und glücklich sind, aber wir müssen und können nicht von allen geliebt werden.
Verbieg dich nicht!
Dieses Motto gilt sowohl für uns Lehrer, aber auch für Teilnehmer. Wir Lehrer sollten immer authentisch bleiben. Natürlich ist es unser Job, die Bedürfnisse und die unterschiedlichen Kenntnisse zu berücksichtigen, aber gleichzeitig sind wir aufgefordert, bei uns selbst zu bleiben. Immer wieder höre ich, wie Yogalehrer von Teilnehmern angegriffen werden. Es ist eine große Kunst, nicht darauf zu reagieren, sich verletzen zu lassen, oder zu versuchen, es allen Teilnehmern recht zu machen. Auch wenn es das Ego streichelt, wenn alle zufrieden und glücklich sind, aber wir müssen und können nicht von allen geliebt werden.
Auf der anderen Seite ist für mich persönlich Yoga nach wie vor kein Sport. Auch hier geht es nicht ums Verbiegen. Es geht ums Loslassen. Und wenn wir loslassen, werden wir geschmeidig, weich und ganz von selbst biegsam. Und wenn wir Yoga seiner Selbst wegen machen, dann ist es auch erfahrungsgemäß egal, welche Haltungen wir machen.
Auch auf der geistigen Ebene ist Yoga ein Prozess, der uns darin schult, loszulassen. Er lädt uns ein, andere Menschen zu sehen und zu akzeptieren, so wie sie sind. Und er möchte uns auch dazu bringen, dass wir uns selbst annehmen, wie wir sind. Denn nur wenn wir das tun, erkennen wir, dass wir bereits vollkommen sind. Egal ob wir 108 Sonnengrüße vor dem Frühstück machen, oder ob wir den Tag mit einer Zigarette beginnen. Dem Purusha in uns ist es egal, was wir tun. Entscheidend ist die Haltung. In der Haltung, mit der wir etwas machen, liegt mehr Freiheit, als darin, was wir tun. Wenn wir das einmal in der Tiefe verstanden haben, sind wir frei – und können tun, was immer wie wollen.