Seit Tobias Weber 13 Jahre alt ist, erblindet er langsam. Heute, mit 31, kann er die Tasten seines Harmoniums nur noch fühlen. Aus diesem Schicksal hat er den im deutschsprachigen Raum einzigartigen „Blind Yoga“ entwickelt – um ein anderes Sehen unter die Menschen zu bringen.
Es gibt die Geschichte, die er immer wieder erzählen soll, wie er sagt. Sie hat einen Anfang und noch kein Ende. Tobias Weber, hochgeschossen, blonder Wuschelkopf, ist einer von statistisch rund 80 Menschen in Deutschland, die mit dem sogenannten Wolfram-Syndrom durchs Leben gehen. Im Alter von anderthalb Jahren wurde bei ihm Diabetes mellitus Typ I diagnostiziert. Als er 13 war, begann sein Sehnerv, schrittweise den Dienst einzustellen. Er habe sich innerlich gegen das Erblinden gewehrt, wollte nie zu denen gehören, die mit Blindenstock den Alltag bestreiten müssen. „Mein Kopf war voll von Vorurteilen, eigentlich war es nur Angst“, erklärt Weber, der im sächsischen Kleinbautzen aufgewachsen ist.
Häuser sind schemenhafte Umrisse
Als Jugendlicher hatte er in Russland beim Zelten einen Traum: „Ich wache morgens panisch auf, und alles ist dunkel, weil ich nichts mehr sehe“, erinnert er sich. Die Vision ist heute nahezu Realität. Der 31-Jährige erkennt weniger als 1 % von dem, was ihn umgibt. Schemenhaft erahnt er lediglich Kontraste, vermutet, wo sich etwa ein Haus oder ein Laternenpfahl befinden könnten. Der Unterschied zu seinem Traum von damals: Die Panik ist weg. Er habe Freundschaft mit seiner Krankheit geschlossen und herausgefunden, dass sie ihn zu einem anderen Sehen führt: zu dem, was sich in seinem Inneren befindet.
In zehn Minuten zum Ashram
Während seines Psychologiestudiums kam er zum Yoga, lebte in verschiedenen Ashrams in Deutschland und ließ sich 2014 als Yogalehrer ausbilden. Er zog von Dresden nach Horn-Bad Meinberg in den Teutoburger Wald, wo er mit den Musikern Janin Devi und André Maris in einem Haus zusammenwohnt. Eines der größten Yogazentren außerhalb Indiens liegt nur knapp zehn Minuten zu Fuß entfernt. „Durch Yoga veränderte sich mein Leben grundlegend. Meine bis dahin kaum gelebte spirituelle Seite kam zum Vorschein“, sagt Weber. Er habe begonnen, sich tiefgreifende Existenzfragen zu stellen, wie die nach dem höheren Sinn des Lebens und nach der persönlichen Bestimmung. Vor gut drei Jahren machte er sich schließlich als Yogalehrer und Seminarleiter selbstständig. Denn […]