Alkohol und Yoga?! Geht das zusammen?! Für mich ja. Für einige andere Yogis auch. Für wieder andere auf keinen Fall. Eine spannende Frage, die ich ganz subjektiv beleuchten möchte.
Wenn ich auf einer Party bin, auf der ich Menschen begegne, die nichts mit Yoga zu tun habe, sind sie erstaunt, wenn ich ein Glas Wein trinke. Häufig kommt dann die Frage: Sind Yoga und Alkohol überhaupt miteinander vereinbar?“ Das ist eine sinnvolle Frage, denn den yogischen Schriften zufolge soll Yoga schließlich zu Erkenntnis führen und es wird gerne behauptet, dass Alkohol die Sinne benebelt. Das stimmt natürlich, aber diese Ansicht würde ich etwas differenzierter betrachten. Es kommt immer auf die Menge an.
Trinken ohne Anhaftung
Ich kenne viele Ayurvedatherapeuten und Ärzte, die nichts dagegen haben, wenn man ein Glas Wein trinkt. Sie bezeichnen es sogar als eine Medizin, ähnlich wie Hildegard von Bingen es tat. Ich selbst trinke immer wieder gerne mal ein Glas Bier, einen Wein oder auch mal einen Cocktail. Und dann lasse ich wieder lange die Finger davon. Manchmal wochenlang. Manchmal monatelang. Manchmal sogar jahrelang.
Ganz davon abgesehen habe ich nichts dagegen, wenn andere Menschen Alkohol trinken – solange sie mich nicht nötigen, es ihnen gleich zu tun – ist es ihre Sache. Ihr Bewusstsein. Ich erlebe es sogar immer wieder auf den Reisen, die ich als Yogalehrerin leite, dass die Teilnehmer abends sogar ausgesprochen gerne Wein trinken. Für sie ist eine solche Yogawoche der reinste Urlaub. Urlaub vom Alltag. Urlaub vom Ich. Urlaub von der Erleuchtung.
Wenn jemand es tut, ohne dass der-/diejenige daran anhaftet – why not? Ich glaube, dass es gesünder ist, ein Glas Wein zu genießen, als wenn man auf einer Party ist und andere beobachtet, wie sie etwas trinken und dabei innerlich den erhobenen Zeigefinger zu heben, sie oder ihn bewertet – oder schlimmer noch abwertet. Ich glaube, dass bei einer solchen wertenden Haltung mehr Toxine durch die Bewertung und das Ablehnen freigesetzt werden, als wenn man Spaß hat und das Glas genießt. Wenn jemand jedoch auf einer Party etwas trinken MUSS, abends ein Glas Wein BRAUCHT, dann ist es etwas anderes. Dann hat das schon etwas von Raga und dann sollte man sich ernstlich fragen, warum man Alkohol trinkt.
Wenn Yogis zu clean sind
Es gibt Yogis, die lehnen kategorisch Wein ab, weil sie sagen, der Yoga verbietet Alkohol.
Ich selbst sehe es anders. Ich bin keine Schwarz-Weiß-Denkerin. Wenn ich ein Glas von einem guten Biowein genieße, was sollte daran schlimm sein? Natürlich spüre ich dieses Glas am nächsten Morgen in der Meditation. Mein Geist ist vernebelt. Ja, das ist wahr. Aber ich hatte einen schönen Abend und meditiere am nächsten Tag dafür dann etwas länger. Wo ist das Problem?!
Wenn jemand aus seinem Inneren heraus kein Bedürfnis, verspürt Alkohol zu trinken, dann ist es etwas anderes. Dann hat die Transformation bereits stattgefunden. Aber wenn ein Yogi keinen Alkohol trinkt, weil irgendwo geschrieben steht, dass man keinen Alkohol trinken darf, weil er benebelt oder weil der Yogalehrer das sagt, dann ist dies in meinen Augen keine gute Entscheidung, weil man hier nur einer äußeren Vorgabe folgt. Ich kenne einige Yogis, denen ein Vollrausch in meinen Augen mal guttäte. Sie sind sehr kontrolliert und unlocker und schauen nur auf das, was man nicht darf und nicht soll …
Eine achtsame Wahrnehmung schulen
Gerne wird argumentiert, dass Alkohol uns vernebelt, uns von uns wegbringt. Aber ehrlich gesagt: Ich kenne Yogis, die keinen Alkohol trinken und, wenn sie auf der Matte stehen, auch nicht bei sich sind, sondern beim Nachbarn und neidisch auf dessen Hose schielen oder neidisch darauf sind, dass dieser tiefer in eine Dehnung kommt als er selbst. Er ist nüchtern, aber nicht bei sich. Auf der anderen Seite kenne ich Yogis, die gerne feiern, ab und zu Wein trinken und denen es egal ist, ob die Nachbarin auf der Matte schöner ist als sie selbst. Wer von den beiden ist mehr bei sich?
Davon abgesehen sage ich meinen Kursteilnehmern immer: Wenn du Alkohol trinken magst – oder noch extremer ausgedrückt: Wenn du dich gerne betrinken möchtest – dann tue es bitte achtsam. Wenn ich achtsam Wein trinke, dann werde ich mich nicht betrinken, weil ich erfahrungsgemäß im Zustand der Achtsamkeit an einen Punkt komme, an dem ich bemerke, wann der Alkohol anfängt, meinen Geist zu benebeln. Das kann bei einem Menschen bereits nach einem Schluck passieren, bei einem anderen nach einem Glas.
Übrigens habe ich einige männliche Kursteilnehmer in meinen MBSR-Kursen nur „gewinnen“ können, weil ich ihnen am ersten Kursabend gesagt habe, dass sie die Tee-Meditation auch gerne mit einem Glas Rotwein machen können. Es waren Männer, die von ihren Frauen oder ihrem Arzt in den Kurs geschickt worden waren und im Widerstand gegen Achtsamkeit, Yoga und Meditation waren, weil sie genau damit gerechnet haben, dass sie am ersten Abend eine Liste mit Verboten in die Hand gedrückt bekommen. Als ich ihnen diese Möglichkeit anbot, erkannten sie, dass es viel mehr um eine innere Haltung geht, mit der wir etwas tun, als um die äußere Einhaltung von Geboten, und sie entspannten sich. In der ersten Woche tranken sie abends noch ein Glas Wein – achtsam versteht sich – und tauschten den Wein danach gegen Tee. Ich glaube nicht, dass dies passiert wäre, wenn ich es ihnen verboten hätte.
Genießen, was ist
Ich war vor kurzen eingeladen bei einem Freund, einem Yogalehrer, der ein echter Weinkenner ist. Er hat eine gute Flasche Wein geöffnet und das Weintrinken mit mir zelebriert. Es war eine reine Gaumenexplosion, die sich mir mit dem ersten Schluck offenbarte. Ich trank einen Schluck und in dem Moment spürte ich eine tiefe Verbindung mit all den Menschen, die ihr ganzes Herzblut in die Herstellung dieses Weins gesteckt hatten. Ich konnte ihre Liebe zum Wein, zur Erde, zum Leben, zur Freude in diesem Schluck Wein schmecken und war zutiefst berührt. Ich wurde zum Wein, zum Winzer, zur Rebe. Und das, weil ich den Alkohol offen, wertfrei von Moment zu Moment getrunken habe. Welch schöne Erfahrung. Ich weiß nicht einmal, wie der Wein heißt. Den Namen habe ich mir nicht gemerkt. Aber geblieben ist die Verbindung mit all den Menschen, die diesen Wein produziert haben. Wir waren eins. Noch heute spüre ich diese Verbindung. Sie ist geblieben. Ist das nicht schön? Und der Wein war so gut, dass ich nach einem kleinen Glas genug hatte und dieses Erlebnis heute in meinem Herzen trage, ohne sie wiederholen zu müssen.
Du möchtest noch mehr zum Thema erfahren und auch u.a. herausfinden warum du als Yogi auch mal einen Cocktail trinken darfst, dann könnte dich der folgende Podcast mit mir interessieren: