Yoga verbreitet sich gegenwärtig rasend schnell über den ganzen Globus. Doch bei den wenigsten der zahlreichen Yoga-Übenden sind die Ziele spiritueller Natur. Ist Yoga im Begriff sich selbst aufzufressen? Der britische Yogalehrer Mikel Burley schildert seine Eindrücke
Yoga ist eine vielfältige Disziplin, die sich ständig weiterentwickelt. Da ich Yoga seit über zehn Jahren intensiv studiere und praktiziere und während dieser Zeit insgesamt vierzehn Monate in Indien und Nepal verbrachte, durfte ich ein breites Spektrum von Methoden beobachten. Ich stellte mehr und mehr fest, dass es für viele Yoga-Ausübende und Lehrer innere Spannungen gibt. Ich möchte gern einige Gedanken zu diesem Sachverhalt ausdrücken, denn ich glaube, diese Spannungen betreffen einige für selbstkritische Yogis wichtige und anregende Punkte.
Traditionellerweise existierte für den Yogi eine Spannung zwischen dem Genießen eines aktiven Lebens samt dem Sammeln weltlicher Erfahrungen und dem Leben als Entsagender mit dem Ziel, kraft spiritueller Erlösung von den weltlichen Frustrationen befreit zu werden. In der Bhagavad Gita zeigt Gott Krishna Arjuna die Möglichkeit, diese Spannung durch Ausübung von Karma-Yoga, dem „Yoga des Handelns“ zu überwinden.
Dabei bemüht man sich, jede Handlung in Übereinstimmung mit den eigenen Anlagen und Begabungen auszuführen, ohne an den „Früchten“ dieser Handlungen zu kleben. So bleibt man in der Welt tätig und wird gleichzeitig zum Entsagenden. Dies ist zumindest die Theorie, attraktiv für alle, die eine tiefe Lebensorientierung ersehnen, ohne sich deshalb von den sozialen Verantwortungen und Freuden abkehren zu müssen. Aber wer die ganze Gita sorgfältig gelesen hat, weiß sehr wohl, dass diese keineswegs frei von Widersprüchlichkeiten ist und in einer Reihe von Textpassagen mit allem Nachdruck jenen entsagenden Lebensstil befürwortet, dem die Lehre des Karma-Yoga ersichtlich entgegensteht. Darum bleibt es bis zu einem gewissen Grad bei der besagten Spannung.
Für moderne, speziell westliche Yoga-Ausübende zeigt sich die Spannung in etwas anderer Form. Zwar gilt die Frage, ob man bei seinen Bemühungen „spirituell“ oder „weltlich“ ausgerichtet sein sollte, immer noch als wichtig, doch hat sich die Rolle des Yoga in Bezug auf diese Frage verändert. In der Gita und anderen klassischen indischen Werken wird, selbst wenn die Details der Yoga-Praxis verschwommen bleiben, doch zumindest klar, dass Yoga mit der Suche nach spiritueller „Herauslösung“ oder „Befreiung“ zu tun hat, und dies wird gewöhnlich mit der Entdeckung […]