Der Iyengar-Schüler und Mediziner Dr. Krishna Raman über Veränderungen des Augeninnendrucks während des Kopfstands (Sirsasana).
Die Amerikanische Akademie für Augenheilkunde (American Academy of Ophthalmology) veröffentlichte 2006 eine aufschlussreiche Studie zu den Veränderungen des Augeninnendrucks beim Üben von Sirsasana (Kopfstand). Die Studie wurde durch zahlreiche Ärzte anhand von erfahrenen Yogaübenden am Ramamani Iyengar Memorial Yoga Insitute in Pune/Indien gemacht.
Dr. Krishna Raman, praktizierender Arzt, Autor von mehreren Büchern über Yoga und Medizin und enger Schüler des weltberühmten Yogameisters B.K.S. Iyengar war hauptverantwortlich für die Durchführung und Veröffentlichung dieser Studie. Hermann Traitteur, ebenfalls praktizierender Arzt und zertifizierter Iyengar Yogalehrer, stellte ihm eine Reihe von Fragen, um die Ergebnisse und medizinische Bedeutung dieser Studie verständlich zu machen.
Hermann Traitteur: Was motivierte Sie dazu, diese Studie zu machen?
Dr. Krishna Raman: Mich interessiert immer das Warum und die Frage, was genau im menschlichen Körper passiert, wenn es um die Wirkungen von Yogahaltungen geht. Es ist viel wichtiger zu verstehen, was wirklich beim Yogaüben im Körper passiert, als uns auf Vermutungen zu verlassen. In der Medizin geht man davon aus, dass alle Lageveränderungen des Kopfes – besonders wenn der Kopf unten ist – den Augeninnendruck erhöhen. Es gab jedoch auch die Annahme, dass sich der Augeninnendruck nicht erhöht, wenn man den Kopfstand auf korrekte Art und Weise ausführt. Es war interessant, diesen Sachverhalt zu untersuchen.
H.T.: Können Sie erklären, was genau gemessen und wie die Messungen durchgeführt wurden?
K.R.: Für diese Studie wurde der Augeninnendruck im Ruhezustand und direkt nach dem Kopfstand gemessen. Es folgten weitere Messungen, nachdem die Position für einige Minuten gehalten wurde – durchschnittlich blieben die Testpersonen für 3 bis 5 Minuten im Kopfstand. Nicht alle Testpersonen waren in der Lage, den Kopfstand länger zu halten, deshalb begrenzten wir die Zeit auf maximal 5 Minuten. Zur Druckmessung wurde ein so genannter TonoPen (siehe Bild) verwendet, der auf eine nicht invasive Weise den Augeninnendruck misst. Erst wurde das Auge der Testperson durch ein bestimmtes Medikament anästhesiert. Dann wurde der TonoPen in Kontakt zur Netzhaut gebracht, um den Augeninnendruck zu messen. Alter, axiale Länge, Tiefe der vorderen Kammer, Dicke der Linse, Biegung und Dicke der Netzhaut, ethnische Herkunft und der Zeitraum, seitdem die Testperson Yoga übt, all diese Daten wurden mit dem Augeninnendruck in Korrelation gebracht.
H.T.: Was bedeuten diese Messungen eigentlich praktisch? Zu welchen Ergebnissen kam die Studie?
K.R.: Ich werde diese Erklärung auf den Augeninnendruck beschränken. Der normale Druck im menschlichen Auge liegt zwischen 10 und 18 mmHg und er kann sich ausweiten auf 20 mmHG. Alle Werte die höher sind, können nachgewiesenermaßen problematisch
für das menschliche Auge sein. Der Druckanstieg kann letztendlich die Netzhaut zerstören und das Sehvermögen kann dauerhaft verloren gehen.
Unter Biometrie versteht man Ultraschallmessungen zur Bestimmung des Augenmaßes. Neben der Messung des Augeninnendrucks wollten wir sehen, ob sein Anstieg mit irgendwelchen anderen Parametern, die das Auge betreffen und bereits benannt wurden, in Verbindung gebracht werden können. Kurz gesagt, wir fanden Folgendes heraus:
- Bei allen Teilnehmern gab es eine einheitliche Zunahme des Augeninnendrucks, als sie in den Kopfstand gingen.
- Der Anstieg war doppelt so hoch wie der Wert der Ausgangsmessung.
- Es gab keine Beziehung zwischen dem Anstieg des Augeninnendrucks und den biometrischen Augenmessungen. Mit anderen Worten, der Augeninnendruck stieg bei allen Teilnehmern unabhängig von ihrer Augenstruktur an.
Auf alle Fälle konnten wir bei den Yogaübenden keinerlei Augenschäden als Resultat einer mehrjährigen regelmäßigen Kopfstand-Übungspraxis finden.
H.T.: Wie viele und welche Art von Leuten haben an Ihrer Studie teilgenommen?
K.R.: Wir gewannen für diese Studie 50 Testpersonen mit asiatisch/indischer Herkunft und 25 Testpersonen, die nicht aus Indien kamen. Sie alle übten regelmäßig Yoga und praktizierten schon mindestens 5 Jahre. Alle Teilnehmer konnten im Kopfstand für mindestens 5 Minuten stehen. Das Alter der Gruppe bewegte sich zwischen 15 und 75 Jahren, davon 24 männliche und 51 weibliche Teilnehmer. B.K.S Iyengar war einer der Teilnehmer. Wie überall auf der Welt scheint die Anzahl der weiblichen Yogapraktizierenden die der männlichen zu übertreffen.
H.T.: Wie glaubten Sie würde das Ergebnis dieser Studie ausfallen?
K.R.: Wir erwarteten den Anstieg des Augeninnendrucks, weil der Kopfstand eine Umkehrstellung ist, die einen venösen Rückstau im Auge verursacht. Wir hatten aber keine Idee, welche Wirkung eine regelmäßige Übungspraxis des Kopfstandes auf das Auge haben würde, noch wussten wir etwas über die unmittelbare Wirkung der Stellung auf die Biometrie des Auges.
H.T.: Welche praktische Bedeutung haben diese Ergebnissen für Yogapraktizierende?
K.R.: Ersteinmal, Yogastellungen führen in verschiedenen Teilen des Körpers zu Druckveränderungen. Das Auge ist dabei besonders leicht betroffen, da vier Kategorien von Yogahaltungen den Augeninnendruck ansteigen lassen –Vorwärtsbeugen im Stehen, Vorwärtsbeugen im Sitzen, Umkehrstellungen und Rückwärtsbeugen. Der Gebrauch einer Bandage, die um das Gesicht gewickelt wird, verhindert diesen Anstieg nicht.
Für alle Yogaübenden wäre es klug, eine Grundmessung des Augeninnendrucks machen zu lassen, bevor sie anfangen Umkehrstellungen zu lernen. So weit, so gut – es scheint so zu sein, dass man den Kopfstand praktizieren kann, ohne dabei langfristig mit schädlichen Wirkungen rechnen zu müssen. Es ist auch wichtig zu verstehen, dass alle Umkehrhaltungen den Augeninnendruck anheben und zwar um das Doppelte des Ausgangswertes. Wenn es nach dem Erlernen von Umkehrstellungen zu Missempfindungen im Auge kommt, sollte man den Hausarzt darüber informieren. Umkehrstellungen können durchaus ein Faktor sein, der erhöhten Augeninnendruck auslösen kann, aber nur, wenn schon anatomische Prädispositionen bestehen. Der Anstieg des Augeninnendrucks führt gewöhnlich nicht zu direkten Symptomen. Ein defektes Blickfeld ist häufig das erste indirekte Symptom, das der Patient dem Arzt angibt.
H.T.: Können Sie Leuten mit erhöhtem Augeninnendruck einen Rat geben? Können sie Umkehrstellungen üben?
K.R.: Regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Augenarzt sind der wichtigste Faktor für eine gute Prognose. Eine Reduktion der Salzaufnahme kann auch von einem gewissen Wert sein. Zum jetzigen Zeitpunkt sehen wir es lieber, dass diejenigen mit erhöhtem Augeninnendruck Umkehrstellungen vermeiden, sogar wenn sie medikamentös gut eingestellt sind. Auch beim Ausführen des Kopfstands, bei dem man in Seilen hängt, erhöht sich der Augeninnendruck.
H.T.: Kann Yoga den Augeninnendruck vermindern?
K.R.: Für eine derartige Wirkung haben wir bislang keinen wirklichen Beweis. Jedoch konnte in einigen Yogastellungen ein vorübergehendes Absinken des Augeninnendrucks festgestellt werden – aber auch dies ist noch umstritten.
H.T.: Glauben Sie, dass die Praxis von Umkehrstellungen ein Glaukom verhindern kann?
K.R.: Es ist zu früh auf dieser Ebene überhaupt zu denken, aber es ist ein aufregender Gedanke. Wir fanden, dass der Augeninnendruck im Ruhezustand bei denjenigen die gewohnt sind, Kopfstand zu praktizieren, niedriger war verglichen mit Kontrollen unter Ungeübten, aber für eine Analyse ist das noch zu unausgereift.
H.T.: Können Sie einige medizinische Anmerkungen zu Sirsasana (Kopfstand) machen?
K.R.: Kopfstand ist eine Haltung, die den Körper sicherlich energetisiert, obwohl die Wirkungsmechanismen umstritten sind. Möglicherweise kommt es gar nicht zu einem verstärkten Blutfluss zum Gehirn, weil der Blutfluss zum Gehirn automatisch reguliert wird. Die Kapazität der Auto-Regulation wird schlechter, je älter wir werden, da im Alter die Gefäße verkalken, anfällig werden zu reißen und zu einem Schlaganfall führen können. Obwohl der Kopfstand nicht unbedingt zu einem erhöhten Blutfluss zum Gehirn führt, ist diese Stellung jedoch eine Herausforderung für die Kräfte der Autoregulation – die physiologischen Mechanismen werden trainiert, die automatisch zu einer gleichmäßigen, konstanten Gehirndurchblutung führen. Auch der Blutfluss zum Auge wird automatisch reguliert – frühe Studien haben gezeigt, dass der Kopfstand keinen verstärkten Blutfluss zum Auge zur Folge hat.
Hoffen wir, dass die Forschung uns dabei helfen wird, die innere Körperdynamik während einer Yogahaltung und die darauf folgenden Wirkungen besser zu verstehen.