Die Welt der Schwammerl: über harmlose Leckerbissen und ihre psychoaktiven Verwandten – Pilzköpfe haben Saison
Pilze sind schon eine merkwürdige Spezies. Sie sind keine Pflanzen und keine Tiere und mit Verlaub scheinen sie auch keine Menschen zu sein. Aber was eigentlich sind sie dann? Neben den Tieren und Pflanzen stellen sie ein eigenständiges Reich der Eukaryoten (Lebewesen mit Zellkern und Zellmembran sowie mehreren Chromosomen) dar, so die Auskunft des Lexikons. Aha. Jedenfalls sind sie keine Krankheit oder zumindest nicht per se – manche Pilze können zwar bekanntlich in der Tat den Menschen befallen, aber von denen soll hier nicht die Rede sein. Schließlich gibt es auch eine Menge Pilze, die dem Menschen wesentlich besser bekommen: leckere Schwammerl, die man sich gerade jetzt im Herbst wieder auf den Teller holen kann. Champignons, Steinpilze, Pfifferlinge und die als besondere Delikatesse geltenden Trüffel, für die Gourmets dieser Welt von schnuppernden Schweinen aufgespürt, sind geläufig, aber neben diesen gängigen Speisepilzen gibt es viele weitere essbare Pilze, die von Kennern wegen ihres exquisiten Geschmacks geschätzt werden. Die Bandbreite der Aromen ist enorm. Wer sie erkunden möchte, sollte sich jedoch vorher gut informieren und nicht einfach jeden Pilz in die Pfanne hauen, der ihm beim Sammeln in die Finger gerät. Denn ein paar tückische Genossen gibt es unter den Pilzen schon – zwar sind nur relativ wenige der zahllosen bekannten Arten giftig und viele davon sind in unseren Gefilden ohnehin nicht zu finden, doch sollte man dennoch besser auf keinen Fall ein Glücksspiel eingehen.
Fliegenpilze und Konsorten: Stichwort Vergiftungen
Pilzvergiftungen können sich in vielerlei verschiedener Form äußern. So können u.a. Magendruck, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schweißausbrüche oder Schwindel hervorgerufen werden. In schlimmen Fällen können die Giftstoffe innere Organe zerstören und sogar zum Tode führen. Die Vergiftungssymptome treten oft erst Stunden nach dem Pilzverzehr auf, so dass die Betroffenen sie häufig gar nicht auf Anhieb damit in Zusammenhang bringen. Bei Verdacht auf Pilzvergiftung sollte man jedoch möglichst schnell handeln und sich sofort an eine Giftinformationszentrale wenden. Stark giftige Pilzarten sind beispielsweise der weiße und der grüne Knollenblätterpilz, der weiße Trichterling und der Satansröhrling. Der Fliegenpilz dagegen, der vielen als der Giftpilz schlechthin gilt, ist nicht so hochgiftig wie manch anderer Vertreter. Zwar trifft es zu, dass er nicht ungefährlich ist, aber wenn man ihn in bestimmter Weise zubereitet und dosiert, ist er keineswegs tödlich, sondern hat halluzinogene Wirkungen, auf die im nächsten Absatz noch zurückzukommen sein wird. Alles in allem ist mit Giftpilzen nicht zu spaßen, auch wenn die Zahl der Todesfälle durch Pilzvergiftung in Deutschland nur bei etwa ein bis zwei pro Jahr liegt. Übrigens: Kochen schützt vor Vergiftungen nicht – die meisten Pilzgifte werden durch Erhitzen nicht zerstört. Und: selbst in Speisepilzen können sich Giftstoffe bilden, wenn man sie nicht schnell genug verzehrt bzw. nicht richtig lagert, denn durch ihren hohen Wasser- und Eiweißgehalt sind Pilzfruchtkörper ein idealer Nährboden für Mikroorganismen, die die Eiweiße zersetzen und dabei giftige Substanzen produzieren können. Ferner wirken einige Pilze (z.B. der Falten-Tintling), die an sich als Speisepilze geeignet sind, im Zusammenspiel mit Alkohol toxisch. Manche Unverträglichkeitsreaktionen sind auch auf eine Trehalose-Intoleranz zurückzuführen: diese Zuckerart, die nicht von allen Menschen vertragen wird, ist in vielen Pilzen enthalten.
Das LSD der Pilzwelt: Psilocybe Arten
Neben den klassischen Giftpilzen könnte ein wahlloser Sammler auch versehentlich eine Sorte erwischen, die ihn mit halluzinogenen Wirkstoffen auf einen LSD-ähnlichen Trip bringt (wie man sich denken kann, gibt es auch Pilzfreunde, die es – an kulinarischen Aspekten weniger interessiert – ganz gezielt auf diese Spezies abgesehen haben). Die meisten halluzinogenen Pilze enthalten Psilocin bzw. dessen Phosphorsäureester, das Psilocybin
Der Fliegenpilz und ein ihm sehr ähnlich sehender Verwandter namens Pantherpilz enthalten stattdessen Muscimol, das ebenfalls psychoaktiv wirkt. Wesentlich mehr Muscimol, als die frischen Pilze enthalten, entsteht, wenn man sie trocknet. Psilocin- und muscimol-haltige Pilze wurden in allen Teilen der Erde seit vorgeschichtlicher Zeit in religiösem Zusammenhang und zu Heilritualen eingenommen. Es gibt einigen Grund zu der Annahme, dass es sich bei dem berühmten Somatrank der Veden um einen aus Fliegenpilzen gewonnenen Trank gehandelt hat.
Pilze und yogische Ernährung
Im Yoga und Ayurveda werden Pilze klar als Nahrungsmittel mit der Eigenschaft Tamas klassifiziert, d.h. sie werden in die Gruppe der träge und stumpf machenden Lebensmittel eingeordnet, die der spirituellen Entwicklung im Wege stehen und gemieden werden sollen.
Fakt ist, dass Pilze nicht besonders leicht verdaulich sind und somit zu ihrer Verdauung ein recht hoher Energieaufwand erforderlich ist. Dass Pilze für die Verdauungssäfte nicht so leicht zu knacken sind liegt daran, dass sie aus Chitin bestehen – dem Stoff, aus dem auch die Zellwände der meisten Gliederfüßler und Insekten sind. Damit sie nicht so schwer im Magen liegen empfiehlt es sich, sie ausgiebig zu garen.
Eine anderer Gesichtspunkt hinsichtlich der Frage, ob Pilzverzehr nun ratsam ist oder nicht, ist natürlich der unmittelbar gesundheitsbezogene. Pilze haben mit ihrem verästelten Wurzelgeflecht eine große Oberfläche, über die sie Substanzen aus dem Boden aufnehmen. Man kann sie fast als Bodenfilter bezeichnen. So kommt es, dass sich je nach Bodenbelastung Schwermetalle wie Blei, Quecksilber und Thallium in den Fruchtkörpern finden können. Aus diesem Grund rät die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, nicht mehr als 250 Gramm Wildpilze pro Woche zu verzehren. Vor allem bei Pilzen aus Waldgebieten in Süddeutschland ist Zurückhaltung geboten, denn in Gegenden wie dem Münchener Umland, dem Bayerischen Wald, den Alpen und dem Pfälzer Wald gab es kurz nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl Regenfälle, wodurch die dortigen Böden noch immer mit Cäsium-137 (Cs-137) belastet sind. Dieser radioaktive Stoff hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren und zurzeit können Röhrenpilze wie zum Beispiel Maronen- oder Birkenröhrlinge durchaus noch mit 1.000 und mehr Becquerel pro Kilogramm kontaminiert sein. Dies liegt deutlich über den Grenzwerten, die nach Lebensmittelgesetz für im Handel erhältliche Produkte zulässig sind, entspricht indes nach Informationen des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz andererseits gerade mal der Strahlenbelastung, der man während eines etwa 1stündigen Interkontinentalfluges ausgesetzt ist. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann auf Zuchtpilze zurückgreifen. Sicherlich ist dies eine Alternative, die insbesondere für Schwangere und Kinder anzuraten ist, jedoch bleibt auch zu bedenken, dass Zuchtpilze nicht die gleichen subtilen Qualitäten aufweisen können wie Pilze aus dem natürlichen Umfeld Wald.
Eine biochemische Untersuchung von Pilzen fördert aber nicht nur bedenkliche Inhaltsstoffe zutage, sondern auch Kalzium, Magnesium und weitere Mineralstoffe sowie etwa die Spurenelemente Mangan, Zink und Selen. Vitamine kommen ebenfalls vor, besonders solche aus der B-Gruppe sowie in manchen Sorten auch Vitamin C und darüber hinaus sogar Vitamin D, das wir sonst nur mithilfe der Sonne produzieren können. Hervorzuheben ist auch der hohe Anteil an essenziellen Aminosäuren. Möglicherweise haben Pilze auch Heilwirkungen – in der Chinesischen Medizin wird der Shiitake Pilz gegen Erkältungen und einige Entzündungskrankheiten eingesetzt und auch hierzulande fanden Pilze einst medizinische Verwendung – alten Arzneibüchern ist zu entnehmen, dass der Austernseitling als cholesterinsenkend erachtet wurde und der Champignon als blutdrucksenkend. Übrigens wird dauch das Antibiotikum Penicillin aus Pilzen gewonnen.
Rein von der physiologisch-gesundheitlichen Seite her gesehen scheint alles in allem also mehr für die Pilze zu sprechen als gegen sie. Und mit dem Aspekt der Schadstoffbelastung kann es ohnehin nichts zu tun gehabt haben, dass Pilze gemäß frühen indischen Schriften in die Kategorie Tamas fallen. In gewisser Weise könnte es allerdings doch mit der Frage des Nährbodens zusammenhängen – einige Arten wachsen nämlich auf Leichen und was auf etwas Totem gedeiht, könnte zwar einerseits wegen des Sieges von Leben über die Vergänglichkeit bejubelt, andererseits aber auch in seiner Qualität dem Tod zugeordnet werden. Auch gibt es sogar Pilzarten, die todbringend lebende Insekten befallen und sich dann auf deren Leichen ausbreiten. Pilze zersetzen außerdem tote Lebewesen und Exkremente – als so genannte Destruenten bilden sie quasi das Gegenstück zu den Pflanzen, den Produzenten. Damit erfüllen sie aber eine wichtige Rolle für das biologische Gleichgewicht; außerdem wandeln sie die Ausgangsmaterie dabei zu Mineralstoffen um.
Die Spezies grundsätzlich mit Verfall zu assoziieren scheint also nicht gerechtfertigt. Warum aber kam man dann zu der Ansicht, dass Pilze durch Tamas charakterisiert werden? Eine nicht unplausible Theorie besagt, dass dafür die halluzinogenen Pilze ausschlaggebend waren. Was – sofern es sich beim Soma tatsächlich um einen Pilz gehandelt hat – zu vedischen Zeiten den Göttern lieb und den Dichtern heilig war, erschien den Verfassern der yogischen Texte nicht mehr als probates Mittel sondern als Hindernis in der Bewusstseinsarbeit: Rauschmittel wie es eben auch psilocybile Pilze sind wurden abgelehnt. Die anderen Pilze wurden da vielleicht in einer Art Sippenhaftung gleich mit diskreditiert. Ob dies nun wirklich der Hintergrund der wenig schmeichelhaften Klassifizierung ist, bleibt dahin gestellt – jedenfalls muss man sich fragen, ob sie uneingeschränkt so gelten kann. Der Verzehr frisch gesammelter Waldpilze kann als sehr erdend empfunden werden, insbesondere, wenn man die Pilze bei einem mit der Schöpfung verbindenden Waldspaziergang selbst gesucht und gefunden hat. Man sollte sich also ruhig fragen, ob man auf frisch zubereitete Speisepilze wirklich gänzlich verzichten will.
Ein wahres Wunderwerk
Tamas bedeutet u.a. dumpf und träge und dies sind Eigenschaften, die man den Pilzen in mancherlei Hinsicht gar nicht nachsagen kann. Vielmehr äußert sich in dieser Spezies die Kreativität der Schöpfung recht eindrucksvoll. Nicht nur, dass sie als eigenes Eukaryotenreich ohnehin recht originell sind – zu den Pflanzen gehören sie nicht, weil sie keine Photosynthese betreiben und heterotroph sind, und zu den Tieren auch nicht, z.B. weil sie Vakuolen, also Zellorganellen haben – nein, sie zeugen auch noch in manch anderer Hinsicht von Einfallsreichtum. So vermehren sich nicht alle Pilze, indem sie ihre Sporen einfach fallen und vom Wind weitertragen lassen, sondern es gibt auch noch ganz andere Strategien: der Kugelschneller schießt mit hörbarem Knall eine senfkorngroße Sporenkugel mehrere Meter weit durch die Luft. Und von wegen „dunkel“ („tamasisch“): in den Tropen gibt es sogar viele Helmlinge, die nachts hell leuchten, ähnlich wie Glühwürmchen. So viel Temperament hätte man den Pilzen wirklich nicht zugetraut, aber Pilzkundige könnten da sogar noch einige mehr interessante Geschichten über die trickreichen Überlebensstrategien ihrer Lieblinge erzählen. Der vermutlich größte Pilz Europas befindet sich übrigens in der Schweiz: im Nationalpark Unterengadin wurde ein 800 Meter langes und 500 Meter breites unterirdisches Pilzgeflecht entdeckt. Es handelt sich um einen über 1000 Jahre alten „Dunklen Hallimasch“. In den Wäldern von Oregon dehnt sich diese Sorte sogar über eine Fläche von neun Quadratkilometern aus; geschätztes Gewicht der Population: etwa 600 Tonnen. Die wunderbare Welt der Pilze… sie ist irgendwie beeindruckend.
Was beim Sammeln und Lagern zu beachten ist
Um keine Myzel zu schädigen, sollte der Sammler die Pilze entweder mit einem Messer abschneiden oder vorsichtig aus dem Boden herausdrehen, nicht aber herausreißen. Am besten verwendet man den klassischen Sammelkorb und schichtet die Pilze darin locker auf. In einer Plastiktüte etwa werden sie schnell gequetscht und matschig. Auch bei der Lagerung ist darauf zu achten, dass die Pilze genügend Luft haben. Wer sie länger als ein paar Tage aufbewahren möchte, sollte die Pilze in einem Dörrgerät oder bei leicht geöffneter Ofentür und einer Temperatur von bis zu 40 Grad auf einem Backblech trocknen und dann luftdicht verschließen. Alternativ kann man sie auch nach kurzem Blanchieren einfrieren. Frisch nach dem Sammeln zubereitete Schwammerl sind aber immer noch der höchste Pilzgenuss. Pilze stets sorgfältig reinigen, damit es beim Essen nicht knirscht… Zu empfehlen ist die Reinigung mit einem Pinsel oder einer weichen Bürste.