Vor einigen Jahren hat der Musiker Mitsch Kohn das Buch „Alles ist Yoga“ vertont und daraus ein sehr schönes Hörbuch gestaltet. Jetzt ist er mit Netanel Goldberg und dem Projekt „Truth of Now“ unterwegs. YOGA AKTUELL sprach mit Mitsch über seine Musik und die Wahrheit des gegenwärtigen Augenblicks.
Interview:
YOGA AKTUELL: Wie bist du zur Musik gekommen?
Mitsch Kohn: Erst einmal danke für die Einladung zu diesem Interview. Ich habe eigentlich überwiegend autodidaktisch gelernt, gespielt, komponiert … mit kleinen Exkursen im Schulorchester an der Geige und in Bandprojekten mit dem Keyboard, und mich erst kurz vor dem Abi wirklich entschieden, „etwas“ mit Musik zu machen. Ich habe dann Unterricht genommen, um Musik studieren zu können. Da ich mir selbst aber noch recht fern war, habe ich dann noch lange Zeit dafür gebraucht, herauszufinden, wo mein Weg liegt und zu „was genau“ ich mich eigentlich berufen fühle.
Gab es ein ausschlaggebendes Erlebnis, das dich zu der Musik geführt hat, die du jetzt machst?
Es waren viele innere Erfahrungen und äußere Erlebnisse, die Stück für Stück den Weg zu dem vorbereitet haben, was sich heute entfaltet. Das herausragendste Erlebnis, ein wirklich spürbarer Wendepunkt, war ein Improvisationskonzert in Madrid im Jahr 2011. Davor gab es eine recht lange Zeit zwei parallele Entwicklungen in mir, eine musikalische und eine spirituelle, die für mich gefühlt sehr wenig Berührungspunkte hatten. Und dann gab es dieses besagte Konzert, bei dem ich eine geistige Initiation erhielt … ich war damals noch nicht in der Lage, die hohe Energie zu halten, und so torkelte ich nach dem Konzert wie betrunken aus der Kirche, unfähig mit jemandem zu sprechen und innerlich tief bewegt. In diesem Konzert ist mir der Unterschied zwischen „Improvisation“ und „Intuitiver Musik“ bewusst geworden. Ich habe bis in die letzte Zelle hinein verstanden, dass es für mich bei der Musik nicht ums Darstellen geht, weder um irgendeine Leistung, die von einem Publikum bewertet wird, noch um irgendjemanden zu bespaßen, sondern dass diese Form der Musik dafür da ist, eine tiefe innere Erfahrung zu machen … sowohl für mich wie auch für die Menschen, die mitreisen.
Warum liegt dir als Musiker das Thema „Truth of Now“ so sehr am Herzen? Was genau verstehst du darunter?
„Truth of Now“ ist aus unserer Erkenntnis entstanden, dass beim Wort „Konzert“ noch immer der Konsummodus im Menschen aktiviert wird. Ich schaue oder höre mir etwas an, lasse mich unterhalten … darum geht es bei uns aber nicht. „Truth of Now“ ist ein zeremonieller Erfahrungsraum, bei dem die Teilnehmer tief in ihr Sein eintauchen können. Es gibt nur eine Wahrheit, und das ist die in uns. Jeder hat seine eigene, und sie kann sich von Augenblick zu Augenblick ändern. Wir spielen alles aus dem Moment heraus, mit allem, was sich zeigt, das kann auch mal ganz schön schräg sein, aber wir unterdrücken nichts, wir sind einfach mit dem da, was da ist, und geben diesen Raum, einzutauchen in diese innere Wahrheit, um unseren Mustern zu begegnen, unseren Ängsten und Begrenzungen, aber auch unserem Potenzial, unserer Schönheit und Schöpferkraft. Erkenntnis, Tränen, Lachen, Erleichterung… es ist ein Weg zu mehr innerer Freiheit und Selbstliebe, und aus dieser kann dann auch mehr Frieden in der Welt entstehen.
Wie wichtig findest du Musik in Bezug auf Yoga? Sollte es Bestandteil der Praxis sein? Bringt es den Übenden besser und schneller ins Jetzt?
Yoga mit Musik ist toll, und ohne ist es auch toll 🙂 Für mich gibt es da kein „sollte“ in diesem Sinne, es sind einfach unterschiedliche Qualitäten. Yoga mit der richtigen Musik vereinfacht das Eintauchen, die Natur tut das z.B. aber auch, oder ein Lehrer, der diesen Raum vermittelt und hält. Das Wesentliche ist eh immer die Haltung und Bereitschaft des Praktizierenden. Wie weit bin ich bereit, mich wirklich einzulassen, mich zu spüren, in das hineinzugehen, was sich gerade zeigt? Für Menschen, die eher ein freies von der Intuition und den Bedürfnissen des Körpers gelenktes Yoga machen, ist diese Form der Musik eine tolle Einladung, noch tiefer hineinzugehen. Allen anderen kann es eine Hilfe sein, sich zu erlauben, das eigene freie Yoga in sich zu entdecken.
Warum ist in deinen Augen und Ohren gerade die Musik so ein gutes Mittel, um ins Jetzt zu kommen?
Weil wir, wenn wir uns wirklich auf die Musik einlassen können und damit dem inneren Strom (und das ist für viele erstmal wirklich eine Herausforderung), unserem Wesenskern, unserer inneren Wahrheit nahekommen. Musik entkoppelt von den Gedankenströmen und Bewertungsmustern und insbesondere intuitive Musik schlägt eine Brücke in Seinszustände, in denen wir uns dem Flow leicht hingeben können. Ich denke, es liegt daran, dass diese Musik in Hingabe an den Moment entstanden ist und somit diese Energie transportiert. Hier wird vielleicht auch deutlich, dass es nicht nur allgemein um „Musik“ geht. Jede Musik hat ihre eigene Qualität, sie trägt die Signatur des Musikers und führt dementsprechend zu anderen Erfahrungen.
Was stellt sich deiner Ansicht nach am ehesten zwischen uns und das Jetzt?
Unsere Leidenschaft am Bewerten. Im Allgemeinen nehmen wir ja an, dass uns das Denken meistens in der Zukunft oder Vergangenheit festhält, und uns deshalb aus der Wahrnehmung der Gegenwart herausbringt. Viel subtiler funktioniert aber noch das Bewerten, weil es so untrennbar mit unserer Kultur verwoben zu sein scheint. Im Vipassana habe ich die tiefe Erfahrung machen dürfen, dass das Leiden in unserer Haltung zu dem liegt, was gerade passiert, also in der Bewertung der Situation. In der bedingungslosen Annahme dessen, was in mir ist (also z.B. Gefühle und Emotionen, Verurteilung, Widerstand, Sehnsucht) komme ich nach und nach in Frieden mit mir selbst und allen anderen, und werde freier dafür, den Augenblick wirklich wahrzunehmen.
Was empfiehlst du Menschen, die glauben, unmusikalisch zu sein? Intuition spielt ja auch eine große Rolle bei deiner Musik. Unterstützt sie uns darin, unsere eigene Musikalität zu erfahren, wenn wir aus dem Kopf rauskommen, aus all den Vorurteilen, wir wären unmusikalisch?
Es gibt sicher Menschen, die weniger Bezug zum musikalischen Ausdruck haben als andere, und das ist ja auch nicht weiter dramatisch. Musik ist ein kreativer Lebensausdruck neben vielen anderen. Jeder hat einen anderen Zugang zur Kreativität, jeder verfügt über andere Potenziale, etwas zu erschaffen. Grundsätzlich sehe ich da einen großen Bedarf, dass die Menschen mehr und mehr in Kontakt kommen mit ihrer eigenen Kreativität – wie auch immer sie sich ausdrücken mag – und diesem Schöpferpotenzial auch die gebührende Wertschätzung entgegenbringen können.
Klang und Musik kann dort ein ungemein großes Hilfsmittel sein, dieses Potenzial in sich freizulegen. Es ist ja kulturbedingt enorm gedeckelt bei den meisten. Unseren Glaubenssätzen begegnen wir, wenn wir bereit dazu sind … wenn wir anfangen, Verantwortung zu übernehmen für uns selbst, unser Denken und Handeln. In meinen Klang-Heil-Raum Seminaren geht es überwiegend darum, sich wirklich wahrzunehmen, in Kontakt zu treten mit allen Anteilen in uns und uns selbst wieder zu erlauben, uns authentisch auszudrücken mit allem, was gerade da ist. Mit den Klängen tauchen wir ein ins Unterbewusstsein – mit all dem, was dort so gespeichert ist – und treten in Verbindung zur Seele, um zu erkennen, wer wir wirklich sind. Das ist enorm heilsam auf allen Ebenen. Und es gab nicht wenige, die nach dem Seminar wieder ihr verstaubtes Instrument ausgepackt haben oder sich eines zulegten :-).
Ich befinde mich selbst gerade in einer sehr interessanten Transformation bezüglich des Singens. 40 Jahre lang habe ich so gut wie nie gesungen, trotz Musikstudium etc., weil ich dem Glaubenssatz erlegen war, dass ich das nicht wirklich kann, die Stimme nicht klingt und so weiter. Und jetzt erkenne ich gerade, dass in ihr eines meiner größten Potenziale liegt. Das ist unglaublich schön, und ich wünsche diese Erfahrung jedem Menschen, und jeder kann diese Erfahrung machen, die Stimme zu befreien … das ist auch ein wesentlicher Bestandteil im Klang-Heil-Raum. 🙂
Darüber hinaus herrscht ein weit verbreiteter Irrglaube, dass Musik unglaublich kompliziert sein muss und musikalischer Ausdruck eine Ausbildung braucht. Das ist Quark. Musik entsteht durch Zuhören, wirkliches Zuhören und präsent sein … und sich selbst die Erlaubnis zu geben, den authentischen Ausdruck des Moments in Klang zu fassen. Alles andere findet sich.
Du spielst am 15.11. in München im Sufizentrum Ya Wali. Warum gerade in einem Sufizentrum? Hat der Sufismus für dich eine besondere Bedeutung?
In meiner Berliner Zeit habe ich oft mit den Sufis getanzt, und ich habe dort viele gute Impulse für mich bekommen. Die Mystiker haben sich ja von den Dogmen der Religionen weitestgehend befreit, und ich finde mich dort auch wieder, auch und insbesondere in der Musik. Es geht darum, sich wieder zu frei denkenden und frei fühlenden Wesen zu entwickeln und in Kontakt zu sein mit der Quelle. Dass „Truth of Now“ im Ya Wali stattfindet, hat sich aber einfach so ganz „weltlich“ ergeben. Es ist einfach ein wunderbar klarer Raum mitten in München.
Wenn du drei Wünsche hättest, wie würden diese lauten?
Möge jeder Mensch mit sich und der Vergangenheit Frieden schließen können. Möge in jedem Menschen der Funke entfachen, der sein Potenzial zur Entfaltung bringt. Mögen wir die Liebe, Kraft und Klarheit behalten, um in den kommenden Zeiten bei uns bleiben zu können.
Herzlichen Dank für das Interview.
Der Klangmystiker und Komponist Mitsch Kohn macht Intuitive Musik und lebt in Berlin. Derzeit ist er gemeinsam mit Netanel Goldberg mit der Klangzeremonie „Truth of Now“ dauf Tour.
Die nächsten Termine:
Wien (AT): 13.11. Pfarre im Augarten
Chiemsee: 14.11. Seminarhaus auf Heft
München: 15.11. YA WALI
Nürnberg: 17.11. Abendveranstaltung im SAMSARA
Frankfurt: 20.11. Timo Wahl Yoga
Luxembourg: 21.11. Bhudda Hall
Freiburg: 23.11. SOMA YOGA
Winterthur (CH): 24.11. Sounds of Spirits Festival
Mehr Infos zu Mitsch Kohn findest du hier!