Ein Korb ist ein Korb. Genauso wie ein Baum ein Baum ist. Dies ist leichter gesagt, als gedacht. Denn wir sehen alles durch unsere subjektive Brille. Wenn wir nicht aufpassen, ist diese Sicht negativ – und somit auch die Sicht auf unser Leben.
Als ich im Dezember im südindischen Kerala war, durfte ich wieder einmal erfahren, wie sehr die Kleshas durch uns hindurch wirken. Die Kleshas sind jene kosmischen Kräfte, die uns davon abhalten, dass unser Geist vollkommen zur Ruhe kommt und den Zustand von Yoga erfährt. Avidya, die subjektive Wahrnehmung (wörtlich übersetzt mit „Nicht-Wissen“ oder „Nichterkenntnis“) gilt als der Klesha, der allen anderen zugrunde liegt.
Ich spazierte an einem der schönsten Strände Südindiens entlang und genoss die traumhafte Landschaft, die mich immer wieder aufs Tiefste berührt. Während ich auf das Meer schaute, sah ich in den sanften Wellen direkt am Strand einen Gegenstand schaukeln. Einige Wellen sorgten dafür, dass das Strandgut angespült wurde: es war ein kleiner Korb. Ich freute mich sehr über meinen Fund, weil der Korb neu aussah. Als ich ihn aufhob und ihn genauer betrachtete, stellte ich mir schon vor, wie ich diesen Korb mit frischen Früchten bestücken und in meinem Zuhause platzieren könnte. Ich freute mich auch deshalb so sehr, weil ich es liebe, schöne Gegenstände von meinen Reisen mit nach Hause zu bringen.
Wenn ich dann Zuhause bin, beschere ich mir selbst kleine Glücksmomente im Alltag. Betrachte ich dann den einen oder anderen Gegenstand aus einem nahen oder fernen Land, werde ich augenblicklich an eine wunderbare Reise erinnert und erfreue mich auch immer wieder an der Machart. So freute ich mich an diesem Korb umso mehr, da ich nun ein passendes Erinnerungsstück für meine Reise nach Indien gefunden hatte.
Der Korb, ein böses Omen?
Voller Freude ging ich mit dem Korb in der Hand am Strand entlang zurück zu dem Ressort, in dem ich wohnte. Dort begegnete ich einer Deutschen. Sie kam mit großen, aufgerissenen Augen auf mich zu und fragte mich, was ich mit diesem Korb mache! Ich präsentierte ihr stolz meinen Fund, doch sie reagierte entsetzt und erklärte mir, dass es sich hierbei um einen Totenkorb handle, in welchem Inder die Asche ihrer Toten ins Meer werfen. Mich schockierte diese Nachricht sehr und ich hielt meinen Fund plötzlich für ein schlechtes Omen. Augenblicklich dachte ich daran, ob dieser Korb mir wohl den Tod eines lieben Menschen ankündigen wollte – oder vielleicht auch meinen eigenen Tod ankündigte.
Erschreckt und verwirrt ging ich weiter und konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es sich bei meinem Fund tatsächlich um einen Totenkorb handeln sollte. Deshalb sprach ich einen Inder an, der sich ebenfalls am Strand aufhielt und fragte ihn, ob er denn die Funktion des Korbes kannte. Er sah sich meinen Fund kurz an und erklärte mir, dass derartige Körbe von Fischern verwendet werden. Sie seien Hilfsmittel, um Wasser aus dem Fischerboot hinaus zu schaffen. Ich musste vor Erleichterung kurz auflachen und mir wurde die tiefgründige Bedeutsamkeit meiner Begegnungen bewusst.
Subjektive Wahrnehmung
Ich finde einen Gegenstand, sehe selbst etwas Positives darin und erlebe einen glücklichen Moment. Ja, vielleicht langfristig sogar viele glückliche Augenblicke. Plötzlich wird durch das Zutun eines anderen Menschen der schöne Früchtekorb zu einem Totenkorb. Von einem Moment auf den nächsten veränderte sich meine Sichtweise. Wusch. So schnell, dass ich mich nicht dagegen wehren konnte. Dabei war der Korb immer noch genau der gleiche Korb. Es war nur eine andere Sicht, die dem Korb plötzlich eine vollkommen andere Bedeutung gab. Jeder Gegenstand begegnet uns neutral, unbefangen und rein. Unsere früheren Erfahrungen, unsere grundlegende Einstellung dem Leben gegenüber entscheidet, was wir daraus machen.
Diese Erfahrung machte mir wieder einmal deutlich, was Patanjali meinte, als er im Yogasutra beschrieb, dass die subjektive Sicht ein großes Hindernis auf dem Weg zum spirituellen Erwachen darstellt. In manchen Situationen schränkt uns die eigene Subjektivität derartig ein, dass wir zu einer anständigen Reflexion nicht fähig sind. In anderen Fällen verleitet uns die Meinung und Sichtweise anderer dazu, unser eigenes Gefühl zu vernachlässigen. Diese Geschichte lehrte mich, dass ein Korb nur ein Korb ist – und ich gut daran tue, dies im Bewusstsein zu behalten.