Im Yogaland gehört die Frage „Po anspannen in der Kobra?“ zweifelsohne zu den Themen, die eine angeregte Diskussion entfachen. Die Einen sind sich sicher: „Spannung in der Pomuskulatur führt zu Kompressionen im unteren Rücken“. „Genau anders herum – keine Spannung in der Pomuskulatur lässt den unteren Rücken schmerzen“ – rufen die Anderen. „Liegt die Wahrheit nicht meistens in der Mitte?“ schlagen die Experimentierfreudigen vor. Die Antwort lautet wie so oft: „Es kommt darauf an“. Der geneigte Yoga-Anatomie-Nerd schließt natürlich direkt die Frage an – „Worauf denn?“
Worauf es ankommt:
1. … darauf, wie es deinem Hüftbeuger, deinem Musculus psoas major, geht!
Bei Rückbeugen findet eine Streckung im Hüftgelenk statt. Dies erfordert eine Öffnung auf
der Vorderseite der Hüfte. Die Hüftbeuger müssen also gedehnt werden – allen voran dein Psoas, der Musculus psoas major. Wenn dein Hüftbeuger verkürzt ist, übt er zu viel Zug von der Lendenwirbelsäule zum Oberschenkelknochen aus, kippt damit das Becken nach vorne und kann so eine Lordose im unteren Rücken verstärken, was eben dort Schmerzen verursachen kann.
Um der Verkürzung des Hüftbeugers entgegenzuwirken, kann der Musculus psoas major aktiv gedehnt werden. Dies geschieht durch die Aktivierung der Gegenspieler – in diesem Fall der Hüftstreckermuskulatur. Unser kräftigster Hüftstrecker ist der große Pomuskel (Musculusgluteus maximus).
Hast du einen verkürzten Hüftbeuger, kann es von Vorteil sein, den großen Pomuskel in
Rückbeugen anzuspannen, um die Hüftvorderseite zu öffnen.
2. … darauf, welchen Teil des Gesäßmuskels (Musculus gluteus maximus) du in Rückbeugen anspannst!
Der große Pomuskel hat verschiedene Funktionen im Hüftgelenk. Dazu gehören:
- Streckung (Extension)
- Außenrotation
- Untere Fasern: Adduktion (= Bewegung der Oberschenkel zur Körpermitte hin)
- Obere Fasern: Abduktion (= Bewegung der Oberschenkel weg von der Körpermitte)
Von diesen Aktionen hilft uns bei Rückbeugen lediglich die Streckung im Hüftgelenk. Eine
Außenrotation und Abduktion im Hüftgelenk führt im Gegensatz dazu eher zu einer
Verkürzung des Hüftbeugers – und kann bei Rückbeugen wiederum zu Problemen im unteren Rücken führen.
Bei Rückbeugen möchten wir Außenrotation und Abduktion vermeiden, aber gleichzeitig die Hüftstreckung und Adduktion (als Gegenbewegung zur Abduktion) nutzen. Doch, wie ist das konkret möglich?
Der große Pomuskel besteht aus zwei Teilen – einem oberen (oberflächlichen) und einem unteren (tiefen) Teil, wobei die oberen Fasern faszial mit dem Muskel Tensor fasciae latae (dem Oberschenkelbindenspanner) und dem illiotibialen Trakt verbunden sind und deshalb bei der Abduktion und Außenrotation unterstützen. Die tiefen Fasern sind indes faszial mit der Rückenstreckermuskulatur (Musculus erector spinae) und den Oberschenkelbeugern (der ischiocruralen Muskulatur bzw. der rückseitigen Oberschenkelmuskulatur) verbunden und bilden so eine kontinuierliche längs verlaufende Verbindung von Wirbelsäule und unteren Extremitäten. Aufgrund ihres Verlaufes unterstützen die unteren Fasern bei der Adduktion – und für uns hier wichtig: auch bei der Streckung der Hüfte.
Hier die Zusammenfassung für alle, die einfach nur wissen wollen, was wir mit dieser Information anfangen können:
Wenn wir eher die unteren Fasern anspannen und die oberen Fasern entspannen, können wir die Hüftstreckung unterstützen, ohne den unteren Rücken zu belasten!
3. … darauf, wie wir selektiv nur die unteren Fasern des Pomuskels anspannen lernen!
Eine Asana, bei der du dieses Prinzip vermutlich schon lange anwendest, ist die Schulterbrücke (Setu Bandha Sarvangasana). Probiere es aus: Du spannst in dieser Rückbeuge vermutlich den Po an – und zwar genau den unteren Teil des Musculus gluteus maximus. Spüre in diesem Asana mit deinen Händen nach: Dort, wo dein Oberschenkel in den Po übergeht – spürst du die Pomuskulatur ganz fest, während die oberen bzw. äußeren Anteile locker sind. Hervorheben kannst du diese Empfindung, indem du einen Block zwischen die Oberschenkel klemmst und so die Adduktion anstelle der Abduktion in der Hüfte unterstützt.
Auch bei Rückbeugen im Stehen kannst du dieses Prinzip gut mit den Händen nachfühlen. Das gleiche Funktionsprinzip gilt natürlich auch in der Kobra!
Den Po in der Kobra anzuspannen, ist also durchaus eine gute Idee – vor allem, wenn deine Hüftbeugermuskulatur verkürzt ist.
Allerdings kommt es darauf an, welchen Teil der Pomuskulatur du anspannst! Vermutlich entscheiden diese Ausrichtungsprinzipien nicht einzig und allein darüber, ob Rückbeugen für dich eine süße Freude oder ein saures Vergnügen sind, aber ein bisschen mit den feinen Nuancen der Ausrichtung herumzuexperimentieren ist auf der Yogamatte mit Sicherheit immer einen Versuch wert!
Der M. psoas major ist kein lordosierender Muskel. Er entlordosiert die Wirbelsule, da er vor der Achse des Wirbelkörpers liegt. Das bedeutet, er kann keine „Hohlkreuz“ bewirken, sondern macht genau das Gegenteil. Wird nun ein Bauchmuskeltraining über Sit-Ups trainiert, verstärkt man die Symptomatik und kann somit Rückenschmerzen generieren oder verschlimmern.
(aufürlicher beschrieben unter: https://www.shop4runners.com/blog/rueckenschmerzen_bei_laeufern/)
Grüße J. Stadelmann
Hierzu gibt es sicherlich ausführliche Diskussionen in der Fachwelt. In der Schule, aus der ich komme, beobachten wir den Psoas als „zweigeteilt“. Die oberen Fasern unterstützen (oder verstärken) dabei die Extension der Wirbelsäule (Lordose), während die untere Fasern wie von Ihnen beschrieben eine Flexion der Wirbelsäule bewirken können. Dies ist auch in verschiedenen Anatomie-Atlanten gezeigt und wurde in div. Dissektionen nachvollzogen. Während wir in der manuellen Arbeit auf die unterschiedlichen Teile eingehen können, ist dies in der Bewegungspraxis häufig nur schwer möglich.
Darüberhinaus ist sicherlich noch anzufügen, dass natürlich viele Varianten in der Anatomie jedes Einzelnen bestehen.
Die Diskussion bleibt auf alle Fälle spannend!