Warum sollte ein aufbrausender Mensch lieber die Finger von scharfem Curry lassen? Und welche Geschmacksrichtung fördert mein Glücksgefühl?
Im Ayurveda werden sechs Geschmacksrichtungen (Rasas) und deren Einfluss auf die drei Doshas (Vata, Pitta und Kapha) beschrieben. Die Rasas sind süß, sauer, salzig, scharf, bitter und herb/zusammenziehend. Diese sechs Geschmacksrichtungen haben individuelle Wirkungen auf den Organismus, den Stoffwechsel und das Bewusstsein. Sie rufen spontane Reaktionen im Körper und auch in der Psyche hervor – wie z.B. Entspannung, die Bildung von Magensäure, Hitze, Wut oder Freude. Die Wortspiele „bitterböse sein“ und „ich bin sauer“ weisen bereits darauf hin: neben der Förderung der Bekömmlichkeit wirken die Geschmacksrichtungen tiefgreifend auf unser Innerstes.
Grundsätzlich sollten laut Ayurveda alle sechs Geschmacksrichtungen in einer Mahlzeit vertreten sein. Durch einen bewussten geschmacklichen Ausgleich fühlen wir uns gesättigt und genährt. Zudem macht das runde Abschmecken auch dem Gaumen Freude. Eine harmonische ayurvedische Abstimmung der Geschmacksrichtungen hilft außerdem gegen Heißhungerattacken und gegen emotionale Essstörungen.
Die sechs Geschmacksrichtungen lassen sich ebenso wie die drei Doshas Vata, Pitta und Kapha von den fünf Elementen herleiten. Sie können entweder ein Dosha verstärken oder abschwächen und haben einen direkten Einfluss auf unser Gleichgewicht.
Die 6 Rasas
Süß – Madhura
Der süße Geschmack ist uns von Geburt an bekannt, denn Muttermilch schmeckt süß. Süß beruhigt, stellt zufrieden und vermittelt uns ein Glücksgefühl. Auf das Körpergewebe wirkt der süße Geschmack nährend, aufbauend und kräftigend. Er steht mit den zwei Elementen Wasser und Erde in Verbindung. Allgemein gilt, dass zu viel Süße die Verdauung belastet und Fettleibigkeit vermehrt. Auf der psychischen Ebene macht uns zu viel Süße schwer, lethargisch und antriebslos.
Besonders für Menschen mit Vata-Konstitution ist der süße Geschmack sehr vorteilhaft, denn er beruhigt den Geist und auch die Sinne. Der starke Pitta-Stoffwechsel kann von der vitalstoffreichen und nährenden Süße gut profitieren. Wegen seiner gewebsaufbauenden Wirkung ist der süße Geschmack für Kapha-Menschen mit Vorsicht zu genießen.
Erdnahe Gemüsesorten wie z.B. Kürbis, Karotten, Randen etc. haben eine süße Note. Besonders im Herbst und Frühwinter wird dieses Gemüse wegen seiner kraft- und energiespendenden Wirkung in der Ayurveda-Küche sehr geschätzt.
Typische Beispiele von süßen Nahrungsmitteln sind:
Weizen, Reis, Milch, Ghi, Zucker, süße Früchte, Süßholzwurzel
Es ist noch gut zu wissen, dass ein Nahrungsmittel mehr als einer Geschmacksrichtung zugeordnet werden kann. Abhängig von der Frucht kann z.B. eine Orange gleichzeitig sauer und süß sein oder eine Birne süß und herb.
Sauer – Amla
Säure wirkt aktivierend, schärft den Geist, fördert die Kreativität und schenkt Leichtigkeit. In der Ayurveda-Küche runden wir z.B. eine Speise mit einem Spritzer Zitronensaft ab oder verfeinern ein Currygericht mit etwas Tamarinde. Die saure Nuance hilft, schwer verdauliches Essen leichter und verträglicher zu machen.
Der saure Geschmack entsteht aus der Verbindung von Erde und Feuer. Er wirkt erhitzend und appetitanregend. Verdauungssäfte und Speichelfluss werden durch den sauren Geschmack angeregt. Generell sollte der saure Geschmack jedoch in Maßen eingesetzt werden, denn zu viel Säure macht uns reizbar, nervös und schließlich werden wir „sauer“.
Ein Übermaß an Säure führt im Körper zu einer Verflüssigung von Kapha und zu einer Steigerung der Toxine im Blut. Der saure Geschmack vermehrt Pitta und Kapha. Vata wird hingegen durch die befeuchtende Wirkung des sauren Geschmacks stimuliert und trockene Nahrungsmittel (z.B. Hülsenfrüchte) lassen sich besser aufspalten.
Saure Nahrungsmittel sind u.a:
Joghurt, Zitrusfrüchte, Beeren, Essig, Tamarinde, Fermentiertes, Tomaten, Hagebutten
Salzig – Lavana
Salz ist für unseren Körper lebensnotwendig. Es regelt den Wasserhaushalt und wird über den Schweiß ausgeschieden. Der salzige Geschmack ist den Elementen Wasser und Feuer zugeordnet. Er regt Agni an und wirkt schleimlösend sowie erhitzend und ist wichtig für die Verdauung. Ohne Salz schmeckt das Essen oft fad, denn Salz verstärkt die Wirkung der anderen fünf Geschmacksrichtungen.
In Maßen genossen stimuliert der salzige Geschmack das Vata-Dosha, denn Salz zieht Wasser an, erweitert die Körperkanäle und wirkt entspannend und nervenberuhigend. Bei Hautbeschwerden, Entzündungen oder anderen Pitta-Störungen sollte man Salz nur mit Vorsicht genießen. Zu viel Salz erzeugt Trockenheit und fördert die Faltenbildung, es verursacht Störungen des Blutes und führt u.a. zu hohem Blutdruck. Da Salz Flüssigkeiten im Gewebe bindet, macht es den Körper schwer und wirkt auf das Kapha-Dosha erhöhend.
Im Ayurveda verwendet man gerne unraffiniertes Natursteinsalz. Dieses ist reich an Mineralstoffen und Spurenelementen.
Salzige Nahrungsmittel sind:
Meer- und Steinsalz, Algen, Sojasauce
Scharf – Katu
Es steckt eine ordentliche Portion Feuer hinter dem scharfen Geschmack und er lässt Wärme entstehen. Im Winter kann solch eine Hitzequelle sehr verlockend wirken, aber aufgepasst: der scharfe Geschmack ist nicht jedermanns Sache. Je nach Konstitution reagiert der Körper unterschiedlich auf die Schärfe.
Pitta-Menschen haben bereits von Natur aus eine starke Verdauung, sie sollten deshalb auf scharfe Lebensmittel weitgehend verzichten. Die zusätzliche Hitze bringt aufgestaute Wut zum Kochen oder lässt Aggressionen aufsteigen. Der sensible Vata-Typ verträgt keine scharfen Speisen. Die Hitze reizt die Schleimhäute und erhöht die bereits vorhandene Trockenheit im Körper. Wer vom scharfen Geschmack am meisten profitiert ist der gemütliche Kapha-Typ, denn Schärfe schenkt Tatendrang und Willenskraft und regt den trägen Stoffwechsel an. Schärfe fördert die Resorption der Nahrung und reinigt den Körper und das Blut. Der Kapha-Typ darf also sein Essen ruhig mit einer ordentlichen Portion Chili aufpeppen oder anregend scharf würzen.
Scharfe Nahrungsmittel sind z.B.:
Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer, Rettich, Paprika, Chili, schwarzer Pfeffer, Senf
Bitter – Tikta
In unserer modernen Gesellschaft ist es besonders wichtig, auch den bitteren Geschmack in den Speisplan einzubauen, denn bitter fördert auf vielen Ebenen das Wohlbefinden. In früheren Zeiten waren bittere Lebensmittel u.a. durch die Verwendung der saisonalen Wildkräuter viel stärker vertreten. Durch moderne Zuchtvorgänge werden Früchte und Gemüse heutzutage „entbittert“.
Die Elemente Luft und Äther verbinden sich im bitteren Geschmack. Er wirkt vor allem bei Pitta- und Kapha-Störungen stimulierend. Bitterstoffe finden wir in allen grünen Gemüsesorten. Sie wirken reinigend auf Blut und Leber und sind ein natürliches Tonikum für die Haut. In Frühlingskuren finden wir bittere Zutaten wie Löwenzahn oder Brennnessel, denn bitter wirkt antitoxisch und keimtötend und fördert die Ausscheidung von Giftstoffen. Übertreiben sollten wir es aber auch nicht, denn zu viele Bitterstoffe trocknen die Säfte im Körper aus und machen uns ängstlich, nervös und „verbittert“. Wer unter vatabedingten Störungen leidet, sollte mit dem bitteren Geschmack vorsichtig umgehen, denn die trockenen und rauen Eigenschaften werden dadurch verstärkt.
Bittere Lebensmittel sind u.a.:
Blattgemüse, Gerste, Granatapfel, Artischocken, Aloe Vera, Bockshornklee, Kurkuma, Kaffee, schwarzer Tee, Löwenzahn, Brennnessel, Rhabarber
Herb/zusammenziehend – Kashaya
Was ist eigentlich herb? Kennst du das Gefühl auf der Zunge, nachdem du eine unreife Banane gegessen hast? Man nennt es auch den herben oder zusammenziehenden Geschmack. Er entsteht aus der Verbindung der zwei gegensätzlichen Elemente Luft und Erde.
Der zusammenziehende Geschmack hat eine blutreinigende und kühlende Wirkung, er begünstigt die Trockenheit im Körper. Auf der psychischen Ebene fördert der herbe Geschmack die Feinfühligkeit und bringt innere Klarheit und spirituelle Öffnung. Ist der herbe Anteil zu groß, können Verstopfungen und Vata-Störungen auftreten oder Angstzustände verstärken sich. Der herbe Geschmack wirkt ausgleichend auf Pitta und Kapha und erhöht das Vata-Dosha.
Beispiele von herben Nahrungsmitteln:
Kurkuma, Koriander, Hülsenfrüchte, unreife Kaki oder Banane, Granatapfel
Bist du auf den Geschmack gekommen? Dann freu dich auf Teil 2 zu den Rasas im Ayurveda! In der nächsten Woche stellen wir dir 2 leckere Chutney-Rezepte vor, die alle sechs Geschmacksrichtungen vereinen.