Im Rahmen eines sozialen Projekts von Spirit Yoga Berlin hat Alexandra Kleinheinrich Yoga für Frauen mit Essstörungen unterrichtet. In ihrem Erfahrungsbericht erzählt sie, warum sie dabei auch an ihre eigenen Grenzen gekommen ist
Auf der Toilette eines Vereins für Essstörungen ziehe ich mich hektisch um und versuche meinen Atem zu beruhigen. Heute ist die erste Stunde der Aktion „Social Spirit“, einer Reihe von Gratiskursen von Spirit Yoga Berlin, und ja, ich bin aufgeregt. Ich schaue in den großen Spiegel über dem Waschbecken und lese auf einem Zettel: „WARNING. Reflections in this mirror may be distorted by socially constructed ideas of beauty.“ Distorted – das bedeutet: verzerrt, verfälscht. Das passt. Ich stelle mir selbst die Frage: Bin ich zu dick? Zu dünn? Und wie ist das, wenn einen diese Frage immerzu beschäftigt? Wenn aus dieser Frage eine Sucht wird, die den Tagesablauf diktiert und das Selbstbewusstsein tyrannisiert? Unglaublich anstrengend muss das sein und einsam. Ich finde mich weder zu dick noch zu dünn und trete vor meine neuen Schüler.
In einem leer geräumten Therapieraum nehmen wir voreinander Platz. Ich blicke in die fragenden Gesichter von fünf Frauen, deren Geschichten ich nur erahnen kann. Zwei Damen sind jenseits der Vierzig, eine davon übergewichtig, die andere dünn, gebrechlich, der Rücken rund – vielleicht, um ihr vernarbtes Herz zu schützen? Die anderen drei Frauen in den Zwanzigern sind schlank bis normalgewichtig, im Gesicht jedoch aufgeschwemmt. Ihre Blicke sind scheu, verhuscht. Ich mutmaße, dass es sich bei den jungen Frauen um Bulimikerinnen handelt. Wenn ich über Essstörungen nachdenke, erscheint mir das Krankheitsbild der Bulimie am schmerzhaftesten. Ess-brech-süchtig. Unmengen an Essen werden in kürzester Zeit verschlungen, bis der Druck unerträglich wird, um dann alles wieder hochzuwürgen, nur um von einem anderen, einem seelischen Schmerz abzulenken.
Eine Verbindung schaffen
Wo knüpfe ich an? Wie soll ich mit diesen Frauen praktizieren? Ich spüre hinein in das, was uns verbinden könnte. Ich spreche davon, dass auch ich unsicher bin, dass ich das Thema Essstörungen, Körperwahn und falsche Schönheitsideale wichtig finde und dass ich von ihnen als Lehrerin einen heilsamen Umgang damit lernen möchte. Ich frage, ob sie von mir für Hands-on angefasst werden möchten, und werde von der Antwort überrascht: „Unbedingt!“
Ich unterrichte einen einfachen Flow mit Restorative-Elementen auf dem […]