Du suchst Entspannung? Ruhe? Dich selbst? Hast aber keine Zeit, um drei Monate auf Bali zu sein oder deine Seele in Indien baumeln zu lassen? Manchmal kann auch schon ein Besuch im Hamam Wunder wirken.
Es stürmt. Der Winter zeigt sich nicht gerade von seiner schönsten Seite. Und ich mittendrin. Mitten im Schmuddelwetter. Mitten in München.
Am liebsten würde ich auf eine kleine Insel auswandern! Somit komme ich mit einer entsprechenden Mischung aus Unmut und Resignation in ein Münchner Hamam. Ein älterer Herr, der lediglich ein Leinentuch, ein Pestamel, um die Hüften geschwungen hat, begrüßt mich lächelnd. Mit der Aufforderung, die nächsten vier Stunden alle Sorgen und negativen Gedanken über Mietwahnsinn, Luftverschmutzung, Geld, und Karriere hinter mir zu lassen, führt er mich in einen kleinen Raum und serviert mir einen mit Kräutern angereicherten Schwarztee.
Er beschreibt mir lautmalerisch, welche Massagen und Waschungen mich erwarten. Danach unterhalten wir uns über Sufis, Spiritualität und über innere und äußere Reisen. Wieder lächelt er und sagt: „Man braucht nirgends hin zu reisen. Alles ist da.“ Ich glaube ihm, denn er wirkt, als wären es keine leeren Worte, sondern als wäre er bei sich selbst angekommen. Wie schön in der heutigen Zeit, in der so viele Menschen auf der Suche sind, jemandem zu begegnen, der in sich ruht.
„Nur wer innehält,
merkt, wann er ankommt.
Nur wer ankommt,
kann auch weitergehen.“
Anna Trökes
Ein Ort der Erholung
Nach dem Tee führt er mich in Kellerräume, die an Gemächer aus 1001 Nacht erinnern. Die Luft ist von Rosenöl und anderen Kräutern geschwängert und das Licht gedämpft. Zehn Minuten später finde ich mich ebenfalls mit einem Pestamel ausgestattet in einem kleinen, mit wunderschönen Mosaikfließen ausgefülltem Razul wieder. Ein Razul ist ein Dampfbad mit einer Temperatur von nur 64 Grad. Das Aroma verschiedener Kräuteröle und der Dampf, der die Schleimhäute befeuchtet, entspannt und befreit die Atemwege. Darüber hinaus hüllt mich der Dampf ein, der in regelmäßigen Abständen in den kleinen Raum einströmt. Mehr und mehr lösen sich meine Alltagsgedanken wie Frühnebel an einem sonnigen Tag auf. Stattdessen entspanne ich mich und bemerke, wie sich auch bei mir, wie ganz von selbst, ein Lächeln breit macht.
Entspannung pur
Mit aufgewärmtem Körper geht’s weiter ins Hamam. Das ist die türkische Variante des Dampfbades. Seinen Ursprung nahm es vor ca. 800 Jahren in Mittelanatolien und Istanbul, wo auch heute noch die schönsten Bäder zu finden sind. Auf einem angewärmten „Nabelstein“ (göbek tashi) erwarten mich dann diverse Massagen und Wasserspülungen. Dieser riesige, meist achteckige beheizte Podest aus poliertem Granit oder Marmor, auf dem ich liegen werde, ist das Herzstück des türkischen Bades. Orientalische Musik, die mich durch ihren langsamen Rhythmus davon zu tragen scheint, das gedämpfte Licht und die wabernde Luft lassen mich nun endgültig vergessen, dass ich mich inmitten einer deutschen Großstadt befinde. Bei den ausführlichen Massagen geht mir jegliches Gefühl von Raum und Zeit verloren. Alles, was ich jetzt noch wahrnehme, sind die entspannenden Berührungen des Masseurs, bei denen ich unmittelbar spüre, wie durch die Mischung aus Wärme und Berührung auch die angespanntesten Muskelfasern lockerer werden. Meine alltäglichen Sorgen und Ängste kommen mir hier plötzlich lächerlich und wie reine Gedankenkonstrukte vor. Scheinen sie hier zwischen bunten Mosaikfliesen, wunderschönen Intarsien und kunstvoll geschwungenen Bögen doch vollends an Gewicht zu verlieren. Und der Satz „Man braucht nirgends hinzureisen, alles ist da!“ erklingt wie ein Mantra in meinem Kopf und erfasst jede Zelle meines Körpers. Wie wahr, denke ich, seufze und gebe mich wieder vollends der Massage hin.
Die Reinheit des Herzens und des Körpers
Den Massagen folgen umfangreiche Waschungen. Dabei geht es nicht nur um die Entschlackung des Körpers, sondern auch um die spirituelle Reinigung. Einzige Voraussetzung: Ich muss nur loslassen und mich hingeben. Eimerweise wird warmes Wasser über meinen Körper gegossen. Dabei wird mir bewusst, dass nicht umsonst das Wasser in verschiedenen Religionen Inbegriff seelischer Reinigung ist. So auch im Islam, wo die Gläubigen vor dem Gebet rituelle Waschungen vornehmen. Und das Hamam bietet sich dafür ja besonders gut an. Auch das gesellschaftliche Leben spielte sich früher im Vorderen Orient größtenteils im Hamam ab – allerdings streng nach Geschlechtern getrennt. Während man sich dort stundenlang gegenseitig ungeniert einseifte, massierte und salbte, wurde der neueste Tratsch und Klatsch erzählt.
Hier in München ist es zum Glück eher ruhig. Nur ein einziger weiterer Gast wird in einem anderen Teil des Hamams behandelt, wir sind durch einen Vorhang getrennt. Es ist eine Frau. Immer wieder äußert sie ein „Ach, ist das schön hier.“ und ich stelle mir vor, dass auch sie lächelnd daliegt und genießt.
Sanfte Hautpflege
Nach den Waschungen erhalte ich eine „Kese“-Behandlung, eine besondere Art des Peelings. Dabei wird mit einem Seiden- bzw. Ziegenhaar-Handschuh die Haut sanft abgerieben, um abgestorbene Hautreste sowie oberflächliche Schlacken zu entfernen. Die Poren können sich wieder öffnen und Durchblutung und Stoffwechsel der Haut werden angeregt. Der Masseur hört erst auf, nachdem sich auch die hartnäckigsten Hornschüppchen gelöst haben. Das Ergebnis: meine Haut ist rosig, frisch, glatt und zart. Danach werde ich eingeseift, bis es schäumt und der Bademeister (telak) – in reinen Frauenhamams eine Bademeisterin – scheint alles Störende und unbewusst Belastende noch einmal gründlich abzuwaschen.
Ich fühle mit gut, gereinigt und entspannt. Und nach einer abschließenden Rosenölmassage und einem erfrischenden Salat steige ich die Treppe aus 1001 Nacht – eher schwebend als gehend – in das Foyer des Bades empor, wo mich der ältere Herr, immer noch im Pestamel, wieder empfängt. Ich fühle mich, als wäre ich gerade von einer langen äußeren und inneren Reise zurückgekehrt, war aber nur vier Stunden dort. Eigentlich brauche ich ihm nicht zu sagen, wie schön es war, denn mein zufriedenes Lächeln, meine strahlenden Augen und meine rosige Haut verraten, wie es mir geht. Er schmunzelt nur und sagt: Ich hab‘ doch gesagt: man braucht nirgendwo hin zu reisen.“