Dr. Christina Dillmann ist inspiriert von ihrer großen Faszination für das Leben: Wie funktioniert das Leben und wie funktionieren wir Menschen. Zum einen bezogen auf den Körper in seiner Ganzheit. Zum anderen aber auch im ganz Kleinen: Wie funktionieren Zellen, wie kommunizieren sie miteinander und wie wirken sie auf das gesamte System? Sie hat in theoretischer Medizin promoviert und mehrere Jahre als Wissenschaftlerin zu den Themen Autoimmunsystem, Entstehung von Autoimmunkrankheiten, Tumoren und Krebserkrankungen geforscht. Heutzutage liebt sie es, ihr Wissen rund um den Körper in die Welt des Yoga zu übertragen.
Wir sprachen mit ihr über Yoga bei Autoimmunerkrankungen: Welche Rolle spielt unser Immunsystem, was bringt es aus der Balance, wie entstehen Autoimmunerkrankungen und wie wirkt der Yoga auf das Immunsystem?
INTERVIEW
YOGA AKTUELL: Bei dir in der Forschung ging es um das Immunsystem. Magst du uns einmal erläutern, was dazu beiträgt, dass unser Immunsystem aus der Balance gerät?
Christina Dillmann: Das Immunsystem ist unglaublich faszinierend und vor allem bei zwei Aspekten wichtig: Es ist unser Abwehrsystem, das uns zum einen zum Beispiel vor Eindringlingen, die von außen kommen, schützt, wenn wir uns zum Beispiel schneiden oder eine Wunde haben und Viren oder Bakterien dort eindringen könnten. Es schützt uns zum anderen aber auch von innen heraus: Wenn Zellen entarten und zu Tumorzellen werden, auch dann greift das Immunsystem und eliminiert.
Wenn wir jetzt von Autoimmunerkrankungen sprechen, dann ist es so, dass das Immunsystem eigenes Gewebe – dabei kann es sich um Zellen oder auch ganze Organe handeln – als fremd einstuft und seine mächtigen und gefährlichen Werkzeuge – in Form von Zellen und Botenstoffen – gegen den eigenen Körper richtet. Das kann entsprechend verschiedene Arten von Autoimmunerkrankungen hervorrufen.
Man unterscheidet zwischen organspezifischen Autoimmunerkrankungen und systemischen Autoimmunerkrankungen. Bei organspezifischen Autoimmunerkrankungen ist meist ein einzelnes Organ betroffen wie beispielsweise bei Diabetes Typ I. In diesem Fall erkennt das Immunsystem ein Organ als fremd und bekämpft es. Das ist natürlich tückisch. Noch viel tückischer, finde ich, ist es, wenn das gesamte System als fremd erkannt wird. Das ist bei systemischen Autoimmunerkrankungen der Fall.
Zum Verständnis: Diabetes Typ I ist organspezifisch. Hier geht es um die Bauchspeicheldrüse, nehme ich an? Welche Autoimmunerkrankung betrifft das gesamte System?
Dies ist bei der systemischen Sklerose der Fall. Oft sind dies kollagene Erkrankungen, die das Bindegewebe, die Gelenke, die Muskeln betreffen. Auch die rheumatoide Arthritis gehört dazu – von der hat man vielleicht schon mal was gehört? Es handelt sich dabei um klassisches Rheuma, was nicht mit Arthrose, einer Verschleißerkrankung, zu verwechseln ist.
Die rheumatoide Arthritis ist eine systemische Autoimmunerkrankung, die sich in Schüben immer weiter fortentwickelt, die Gelenke betrifft und in einem späteren Stadium der Erkrankung auch auf das ganze System übergreifen kann.
Welche Autoimmunerkrankungen sind am meisten verbreitet?
Zu den aktuell häufigsten Autoimmunerkrankungen in Deutschland gehört wohl die Psoriasis auch Schuppenflechte genannt. Gefolgt von der rheumatoiden Arthritis und Morbus Chron, einer entzündlichen Darmerkrankung. Was ich wirklich erschreckend finde, ist, dass die Zahlen seit Jahren massiv ansteigen.
Woran es liegt, kann man jedoch nur schwer sagen, da die Ursachen von Autoimmunerkrankungen multifaktoriell sind. Das heißt, man kann sie nie auf einen konkreten Faktor zurückführen, sondern es spielen immer mehrere Faktoren eine Rolle. Genetische Veranlagung, die Lebensweise oder Infektionen, um nur einige zu nennen. Außerdem haben wir das Immunsystem noch immer nicht komplett verstanden, da es sehr komplex ist und aus zahlreichen Unterpopulationen an Zellen und Botenstoffen besteht. Und solange man das Immunsystem noch nicht in seiner Gänze verstanden hat, ist es natürlich schwer, die Ursache der Erkrankung zu nennen.
Du hast gerade erwähnt, dass Autoimmunerkrankungen in den letzten Jahrzehnten enorm zugenommen haben. In genau diesem Zeitraum hat sich auch unser Leben rasant verändert. Auch wenn viele Faktoren bei Autoimmunerkrankungen mit reinspielen, Fakt ist, dass Stress überall präsent ist. Und Stressoren haben ja bekanntlich auch einen Einfluss auf das Nervensystem, was wiederum auch einen Einfluss auf das Immunsystem hat. Inwieweit spielen also unser Lifestyle und Stress eine Rolle bei Autoimmunerkrankungen?
Das ist ein total guter Punkt. Man spricht, was das angeht, sogar von der neuro-immunologischen Achse. Es gibt eine direkte Verbindung zwischen unserem vegetativen Nervensystem, auf das wir keinen direkten Einfluss haben, und dem Immunsystem. Man weiß von direkten Faktoren, dass sie im Immunsystem und vegetativen Nervensystem eine Rolle spielen. Jedoch handelt es sich hier um ein eher neues Forschungsfeld.
Ein anderer, spannender Punkt ist: Man sieht, dass Infektionskrankheiten massiv abnehmen. Wir leben nun mal relativ steril. Wenn unserem Immunsystem die nötigen Reize fehlen, kann das auch dazu führen, dass es stattdessen aus dem Ruder läuft und kollabiert.
Das Thema Stress ist bei Autoimmunerkranungen ein ganz wichtiger Trigger. Und das ist natürlich auch etwas, was man sich in Bezug auf Yoga schon ganz oft angeschaut hat. Zum Thema Yoga und Autoimmunerkrankungen gibt es nicht ganz so viele Forschungsarbeiten, die auch so sehr in die Tiefe gehen, dass einzelne Zellen und Mediatoren angeschaut werden.
Yoga als komplementären Ansatz zur Schulmedizin zu nutzen, ist nicht neu. Warum ist Yoga auch bei Autoimmunerkrankungen wertvoll?
Es gibt ganz viele Forschungsarbeiten, in denen man Yoga als komplementären Ansatz zur Schulmedizin untersucht hat. Hier stand meist der Effekt von Yoga auf das mentale Wohlbefinden der betroffenen Menschen im Vordergrund.
Bei Autoimmunerkrankungen handelt es sich um chronische Erkrankungen, die oft nicht heilbar sind, so dass die Betroffenen auch mental sehr leiden. Deshalb ist Yoga auch tatsächlich ein guter Ansatz, um die mentalen Aspekte in den Griff zu bekommen. Wir wissen bereits, dass der Yoga sehr gut auch therapeutisch eingesetzt werden kann, um Menschen wieder in die eigene Kraft und Resilienz zu bringen. Das ist schon lange erforscht, was jetzt jedoch neu ist, ist die Publikation, die zeigt, dass Yoga tatsächlich auch auf das Immunsystem wirkt. Das ist etwas, das so noch nicht gezeigt werden konnte und wo Yoga vielleicht nochmal eine ganz andere Rolle spielen kann.
Und wie wirkt Yoga auf das Immunsystem?
Dazu müsste ich einmal ein bisschen ausholen: Denn das Immunsystem ist sehr komplex. Es gibt zum einen die angeborene Immunität, mit der wir auf die Welt kommen. Die trägt dazu bei, dass das Immunsystem bestimmte Strukturen, Viren oder Bakterien erkennt und sie auffrisst. Zum anderen gibt es die erworbene Immunität. Das heißt, unser Immunsystem lernt: Was ist fremd und was ist eigen und wird im Laufe der Zeit immer besser. In Bezug auf die erworbene Immunität gibt es Zellen, die auf das Gas treten können und welche, die abbremsen. Die sehr aktiven Zellen können schnell eine Immunreaktion hervorzurufen, sobald zum Beispiel Viren in den Körper eindringen, danach sind die abbremsenden Zellen nötig, um die aktiven Zellen wieder abzuschwächen, sobald diese das Feuer gelöscht haben. Beide dieser Zelltypen gehören zum erworbenen Immunsystem und sind Unterzellen der T-Zellen. Also es gibt welche, die auf das Gas treten, und welche, die abbremsen.
Bei den Menschen mit Autoimmunerkrankungen ist der Zelltyp, der auf das Bremspedal drückt, vermindert. Die aktiven Zellen treten aufs Gas und es wird gefeuert ohne Ende, aber es wird nicht gebremst.
Und was die Studie jetzt gezeigt hat, ist, dass durch eine regelmäßige Yogapraxis die Anzahl der Immunzellpopulation, die für das Bremsen zuständig ist, ansteigt. Im Fall der Studie wurden über acht Wochen fünf Einheiten pro Woche von jeweils 120 Minuten klassischem Hatha-Yoga praktiziert. Anschließend konnten im Vergleich zu vorher mehr regulatorische Zellen im Blut dieser Menschen gemessen werden. Und da kommen wir ganz tief an die Ursache dieser Erkrankung. Denn wenn wir die Immunzellpopulation, die für das Bremsen zuständig ist, steigern, können all die Symptome, die mit einer klassischen Entzündung einhergehen, wie Gelenkschmerzen, Fieberschübe, Müdigkeit und Abgeschlagenheit durch eben diese regulatorischen T-Zellen ausbalanciert werden. Das ist superspannend und konnte auch bisher in keiner anderen Publikation so gezeigt werden.
Was vermutest du, was der Grund ist? Im Yoga ist das Zur-Ruhe-Kommen des ganzen Systems der ausschlaggebende Punkt, der dazu beiträgt, dass bestimmte Prozesse im Körper wieder angestoßen können werden, für die das System im täglichen Überlebenskampf sonst keine Zeit hat.
Ich glaube, es ist genau diese neuro-immunologische Achse, die da greift. Also die Regulation des vegetativen Nervensystems, der Ausgleich von Sympathikus und Parasympathikus, der dazu führt, dass ich auf der anderen Seite auch ein ausbalanciertes Immunsystem habe.
Ob es wirklich so ist, kann ich hier nicht sagen. Aber wir wissen natürlich, dass eine Yoga- und Achtsamkeitspraxis zu einem ausgeglicheneren Nervensystem führen.
Inwieweit empfiehlst du bei Autoimmunerkrankungen Yoga zu machen?
Die meisten Autoimmunerkrankungen sind sehr vielseitig und es gibt verschiedene Stadien, so dass es schier unmöglich ist, ein Generalrezept herauszugeben.
Was man jedoch generell sagen kann, ist, dass ruhige und sanfte Stile für Menschen mit Autoimmunerkrankungen vorteilhaft sind, weil sie zur Regulation des Nervensystems führen. Große Gruppen oder sehr dynamische und aktive Yogastunden sollten eher gemieden werden, stattdessen empfehle ich kleine Kurse und individuelle Stunden aufzusuchen; gegebenenfalls auch in Einzelstunden zu gehen, da hier spezifisch auf die einzelnen Beschwerden je nach Autoimmunerkrankung, Stadium und Tagesform eingegangen werden kann.
Außerdem sollte beachtet werden, dass jede Autoimmunerkrankung in Schüben abläuft. Das heißt, es können bestimmte Trigger wie Stress, Ess- und Ernährungsgewohnheiten oder Nahrungsmittel sein, die zu einem Schub führen, während eines Schubes geht es den Betroffenen schlecht. Aus meiner Sicht sollte in dieser Zeit auf keinen Fall eine aktive Yogapraxis geübt werden, viel wichtiger ist, dass man dem Körper Ruhezeit gönnt – maximal Entspannungsübungen oder Meditationen.
Welche Stile und Asanas bieten sich an?
Eine körperbetonte Technik ist dann sinnvoll, wenn die Mobilisation von Gelenken im Vordergrund steht, wie zum Beispiel bei der rheumatoiden Arthritis. Die Mobilisation trägt dazu bei, die Gelenkschmiere wieder zu erhöhen, damit die Gelenke nicht versteifen, und Flexibilität und Beweglichkeit erhalten bleiben.
Meiner Meinung sind auch Yogahilfsmittel wie Yogablöcke und Bolster wichtig, um uns aufzupolstern und zu unterstützen.
Ansonsten glaube ich sehr stark an das Embodiment – das ist ein Begriff, der sagt, dass das, was im Körper passiert, sich auch auf mentaler Ebene widerspiegelt.
Ausgleichende Haltungen und alles, was ausbalanciert, tun dem System gut. Sprich Trikonasana, das Dreieck, oder das Krokodil, was links und rechts ausgleicht.
Danke für das Gespräch und dass du dein Wissen mit uns geteilt hast, Christina.
Mehr über Dr. Christina Dillmann und ihre Arbeit erfahren: https://www.happyoga-frankfurt.com oder bei IG: @happy_yoga_frankfurt |
Erwähnte Studien:
Mooventhan A, Pavithra, Meha N, Monisha S, Deepika R, Poorani R, Nivethitha L. „A comprehensive scientific evidence-based impact of yoga in patients with rheumatoid arthritis.“ Int J Rheum Dis. 2023 Dec;26(12):2359-2365. doi: 10.1111/1756-185X.14874. PMID: 38041649.
Gautam S, Kumar R, Kumar U, Kumar S, Luthra K, Dada R. „Yoga maintains Th17/Treg cell homeostasis and reduces the rate of T cell aging in rheumatoid arthritis: a randomized controlled trial.“ Sci Rep. 2023 Sep 11;13(1):14924. doi: 10.1038/s41598-023-42231-w. PMID: 37696876; PMCID: PMC10495372.