Anna Trökes ist eine der profiliertesten und erfahrensten deutschen Yogalehrerinnen. Im Interview mit YOGA-AKTUELL-Autorin Doris Iding spricht sie offen über das wichtige Thema Selbstverbundenheit und über den Mut erfordernden Weg zur Authentizität.
Anna Trökes weiß, dass Yoga mehr ist als nur Asana-Praxis. Sie weiß auch, dass der Weg zu uns selbst ein langer ist, aber dass es sich lohnt, ihn zu gehen!
Interview
YOGA AKTUELL: Du zählst zu den bekanntesten Yogalehrerinnen Deutschlands und hast bereits zahlreiche Bücher zum Thema Yoga geschrieben. Gerade ist dein Buch „Yogaglück“ erschienen. Du arbeitest doch auch bestimmt schon wieder am nächsten Buch, oder?! Worum geht es darin?
Anna Trökes: Im nächsten Buch geht es um Verbundenheit und um das Herz.
Wie bist du dazu gekommen?
Mich bewegt schon lange die Frage: Wer bin ich als Yogini und als Yogalehrerin in der Gesellschaft? Allein dadurch, dass ich mich mit Yoga beschäftige und Bewusstheit entwickle, wirkt sich mein Dasein auf die Gesellschaft aus. Durch das Herstellen von Verbundenheit mit sich selbst, aber auch mit der Gruppe, mit der ich übe, mit der Gemeinschaft mit den Yogis und der Gesellschaft wird der Yoga für mich politisch. Aber das geht nur, wenn die Beziehung zu mir selbst klar ist. Die vermittelnde Instanz – und damit habe ich mich in letzter Zeit sehr viel beschäftigt – ist das Herz. Es ist das Organ, das Verbundenheit herstellen kann, und der energetische Bereich, über den ich Verbundenheit erfahren kann. In diesem Kontext habe ich gemerkt und rückgemeldet bekommen, dass Selbstverbundenheit für viele Menschen ein großes Thema ist. Und nun beschäftige ich mich auch schon wieder über ein Jahr mit dem Thema und habe gemerkt, dass Selbstliebe und Selbstmitgefühl ganz eng damit verbunden sind.
Was bedeutet dir Verbundenheit zu dir selbst? Wenn wir mit einem Thema in Resonanz gehen, hat es ja meist viel mit uns selbst zu tun.
Ja, hat es. Man sollte meinen, dass ich dadurch, dass ich so lange Yoga mache, völlig im Reinen mit mir bin. Aber es gibt in meiner Beziehung zu mir Ebenen, wo diese Selbstverbundenheit nicht da ist. Sondern hier ist – bedingt durch meine Prägung – eher eine Selbstunverbundenheit.
Wann ist dir dies bewusst geworden?
Ich habe gemerkt, dass ich einen sehr schlüpfrigen und dünnen Boden betrete, wenn ich mich mir selbst zuwende. Dann wird es ganz heikel, und es entsteht fast eine Scham. Es entsteht ein Gefühl, als würde ich mich zu sehr um mich selbst kümmern oder als wenn ich Nabelschau betreiben würde. Oder als wäre ich es nicht wert, mich so intensiv um mich selbst zu kümmern. Dabei tauchen ganz alte Glaubenssätze auf. Darüber hinaus habe ich bemerkt, dass ich damit nicht die Einzige bin, sondern dass ich mich in einem riesigen Club befinde (lacht).
Ich empfinde Selbstmitgefühl als ein spannendes, wenn nicht als das wichtigste Thema überhaupt auf dem spirituellen Weg – diese Diskrepanz, wenn wir uns wirklich unserem tiefsten Inneren zuwenden, mit der Sorge, dass diese Zuwendung in einer Nabelschau endet. Das hat auch etwas damit zu tun, dass diese Begegnung mit dem innersten Selbst etwas Großartiges hat. Dieses Wunder, das wir sind! Diese Einzigartigkeit, die uns ausmacht! Das zuzulassen, dass es etwas Großartiges ist, etwas Strahlendes, ein Licht … und, ja – wow! Jedes Mal, wenn ich damit in Berührung komme, schrecke ich zurück und denke, dass es nicht sein darf.
Ja, es geht darum, Hingabe an das eigene Licht zu entwickeln. Aus meiner eigenen Erfahrung gibt es dann ja auch gar nichts mehr zu tun.
Nichts zu suchen, nichts zu finden. Alles ist da.
Wir sind auch noch sehr in einer sehr männlich geprägten Spiritualität unterwegs, nach dem Motto: Du musst etwas leisten!
Definitiv. Deswegen öffne ich mich gerade sehr der weiblichen Literatur. Ich habe gerade sehr viel von Brené Brown gelesen, die über Schamresilienz schreibt, von Pema Chödrön und von Tsültrim Allione. Dann habe ich das Buch Dakini Power gelesen, in dem bedeutende buddhistische Lehrerinnen vorgestellt werden und aufgezeigt wird, wie sie in ihre Kraft kommen. Und diese Kraft ist begründet in der Selbstliebe und dem Selbstmitgefühl. Ungeheuer beeindruckend. Da ist mir auch die Liste meiner Desiderata bewusst geworden.
Was genau bedeutet Schamresilienz?
Der Begriff stammt von Brené Brown. Sie sagt, dass Scham immer dann kommt, wenn wir unsere eigene Verletzlichkeit spüren. Wir legen die Glaubenssätze der Scham über unsere Verletzlichkeit. Wir nehmen der Verletzlichkeit den Stachel, indem wir bei der Scham bleiben und eine ganze Reihe von ungünstigen Verhaltensweisen zur Vermeidung der unangenehmen Gefühle kultivieren. In Kontakt zu kommen mit der eigenen Geschichte, mit dem eigenen Verhalten, den Gefühlen und Empfindungen, schafft Bewusstheit und Klarheit. Der nächste Schritt ist dann natürlich Akzeptanz und Annahme der eigenen Unvollkommenheit, also für alles, wofür ich mich schäme. Die Resilienz entwickelt sich dann aus einer Haltung heraus, die eingeübt werden muss und lautet: „Ich bin genug, so wie ich bin!“ Dies ist für die meisten modernden Menschen ein ganz schwieriges Statement. Ich denke, es ist für uns das allerschwierigste überhaupt, sich selbst auszuhalten.
Das ist etwas, was Pema Chödrön in den Mittelpunkt ihrer Talks stellt. Lerne, dich selbst auszuhalten. Bleib da in dem Moment, in dem sich etwas in dir bewegt, und lauf nicht vor dir selbst weg. Geh nicht in die üblichen Mechanismen und lenk dich nicht wieder von dir selbst ab. Da dranzubleiben, das ist so wichtig. Wir tragen doch alle die Sehnsucht in uns, authentisch zu sein.
Die Bereitschaft, Verletzlichkeit zuzulassen, der Mut zum Selbstmitgefühl sind gar nicht so leicht, sondern ich persönlich erlebe das als sehr anstrengend.
Ja, das ist definitiv ein Weg, der Mut erfordert.
Was macht es noch schwierig für dich, Mitgefühl für dich selbst zu entwickeln?
Wie so viele versuche ich, es nicht nur gut genug zu machen, sondern möglichst perfekt. Und das führt mich unendlich weit von mir weg, in einen Zustand, in dem ich mir selbst nie genug sein kann. Ich denke, es müsste doch immer noch besser gehen. Dieses Denken führt mich in ein Mangelbewusstsein und in eine Selbstunzufriedenheit, wo Selbstmitgefühl überhaupt keinen Nährboden mehr hat.
Was macht diese Erkenntnis mit dir?
Im Moment ist in meinem Inneren kein Stein mehr auf dem anderen.
Schön. Das ist doch toll, oder?!
Ich bin ziemlich aufgelöst. Ich habe das Gefühl, ich muss – und ich darf – mich ganz neu finden.
Ich freue mich, dass eine so bekannte Frau wie du dies artikuliert. Du bist ja immer sehr um Wachstum bemüht, und es zeigt mir wieder einmal, dass der Weg nie aufhört.
Ich schäme mich nicht dafür, mich an diesem Punkt wieder auf Null zurückgesetzt zu finden. Ich bin eher glücklich, dass ich da bin. So konnte es nicht weitergehen. Ich habe die ganze Zeit gespürt, wohin es sich bewegt, nämlich immer mehr weg von mir. Und das ist nicht gut. Ich werde ja älter und gehe auf den Tod zu. Und da wird es dringend notwendig, dass ich den Weg kontinuierlich immer weiter zu mir zurückgehe. Mich immer weiter in mich zurücklehne, um eines Tages in Frieden sterben zu können.
Vielen Dank für deine Offenheit. Solche Prozesse führen dazu, dass wir einen Anfängergeist entwickeln.
Ja, es geht viel mehr um Verinnerlichung. Um Selbst-Erfahrung. Ich lese heute die Bhagavad-Gita anders, die Upanishaden anders. Etwas Anderes will ich auch nicht mehr. Ich merke, dass ich als Asana-Lehrerin momentan völlig ungeeignet bin, weil es mich überhaupt nicht interessiert. Ich will nur noch über Themen der Yoga-Philosophie sprechen oder Mudra, Pranayama oder Meditation unterrichten. Also alles, was nach innen führt. Ich habe das Gefühl, wenn ich auf einer äußeren Asana-Ebene bleibe, dann ist es vergeudete Zeit.
Nicht umsonst heißt es im Buddhismus, dass es eine große Chance ist, als Mensch geboren zu werden.
Nicht nur eine große Chance, sondern auch ein großes Geschenk!
Das sehe ich auch so. Herzlichen Dank für dieses ehrliche Interview.
Mehr zu Anna Trökes gibt es hier.
Zum Weiterlesen:
Anna Trökes: Yoga-Glück, GU 2016
Brené Brown: Die Gabe der Unvollkommenheit. Leben aus vollem Herzen, Kamphausen Verlag 2012
Michaela Haas: Dakini Power. 12 außergewöhnliche Frauen, die den heutigen Buddhismus prägen, O.W. Barth 2012