Angewandte Asana-Anatomie: Einführung in eine Serie über die praktische Umsetzung funktionellen anatomischen Wissens
Wie wir alle wissen, ist Yoga eine Jahrtausende alte Kunst und Lebensphilosophie, die in Indien ihre Wurzeln hat. Unsere Bedingungen, Yoga zu praktizieren, weichen aber wesentlich von den ursprünglichen Gegebenheiten eines Inders ab. Die Menschen in Europa bringen andere Voraussetzungen in die Yogapraxis mit ein. Wir sind größer, schwerer und im wahrsten Sinne des Wortes sesshaft geworden. Während vor gut 100 Jahren die meisten Tätigkeiten noch mit Bewegung verbunden waren, arbeiten heute 80% der Menschen in einer sitzenden Position am Schreibtisch bzw. gehen Freizeitbeschäftigungen nach, die eher bewegungsarm sind. Dieser Trend beginnt schon im Kindesalter, dabei ist doch Bewegung nicht nur für die gesunde kindliche Entwicklung essenziell, sondern auch für die Gesundheit, das Wohlbefinden und für das Lernen bis ins hohe Alter. So wird unser ureigenes, genetisch verankertes Potenzial für gesunde Bewegung nicht ausreichend geweckt und gefordert. Bereits im jungen Erwachsenenalter haben die meisten Menschen physiologische Haltung und Bewegung regelrecht verlernt. Viele können zu Beginn ihrer Yogapraxis z.B. nicht einmal die Zehen spreizen oder die Arme bis über den Kopf heben, bzw. haben viele keine Vorstellung davon, wie der Körper eigentlich funktionieren sollte. Kein Wunder also, wenn es häufig die Probleme mit dem Körper und der übermäßige Stress sind, die uns dazu ermutigen, uns auf den Yogaweg zu begeben.
Natürliche Bewegungen neu entdecken
Jeder Yogapraktizierende bringt seine eigenen individuellen Voraussetzungen mit ein, die beachtet werden wollen. Der Schlüssel, allen gerecht zu werden, sind unser dreidimensionaler anatomischer Grundbauplan und die Prinzipien der Bewegungskoordination, die uns allen gemeinsam sind. Auf Dauer werden wir von unserer Yogapraxis nur profitieren, wenn wir die korrekte Haltung und natürliche Bewegungen neu erlernen und in der Asanapraxis beachten. Davon profitieren wir auch im Alltag, weil nach und nach ein neues Körperbewusstsein entsteht. Die universellen Prinzipien der Körperkoordination führen uns nicht nur dahin, tiefe körperliche Erfahrungen zu erleben, sondern in dem Maße, wie der Körper durchlässiger wird, öffnet sich auch der Geist.
Indem wir uns auf den Körper und auf die Feinheiten der Anatomie fokussieren, bündeln wir unsere Aufmerksamkeit, sind präsent, tief in uns verwurzelt und bekommen ein Gespür dafür, wie der Körper funktioniert. Wir verschieben Grenzen, erleben Kraft ohne Anstrengung, und die Beweglichkeit […]