Die Welt erschließt sich uns über die Sinne. Wenn wir uns in Gedanken oder im Stress des Alltags verlieren, können wir über unsere sinnliche Wahrnehmung den Weg zurück finden in das Hier und Jetzt. Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten sind wunderbare Geschenke, die uns jeden Tag zu mehr Achtsamkeit einladen. Schon morgens können wir uns über den Geruch eines frisch gewaschenen T-Shirts, das angenehme Gefühl von warmem Wasser auf der Haut, den süßen Geschmack von frischem Obst oder eines Frühstückseis, das Zwitschern der Vögel oder den beschwingten Song im Radio freuen. Aber auch zwischendurch bieten uns die Sinne Anker, die uns wieder in Moment holen und verhindern, dass wir unser Leben verpassen, uns in Grübelschleifen verlieren oder in seelischen Tiefs versinken. Wir haben ein paar Ideen für dich gesammelt.
Sehen
Schau dir doch an einem Tag deiner Wahl die Dinge einmal bewusst und ganz offen an – so als würdest du ihnen zum allerersten Mal begegnen. Nimm wahr, dass alles aus einer Symphonie von Farben, Formen, Helligkeit und Dunkelheit besteht. Nimm die Muster und Strukturen in deiner Umgebung wahr, ohne den Dingen sofort wie gewohnt einen Namen oder ein Etikett zu geben. Schenk den Kleinigkeiten Aufmerksamkeit. Lass die Augen über Gegenstände wandern und ihre Schönheit entdecken.
Vielleicht möchtest du dir auch Zeit nehmen, um an einen Naturschauplatz zu gehen, den du magst oder mit deinem Fotoapparat neue Blickwinkel auf bekannte Orte zu entdecken. Du kannst auch ein Bild malen und mit Farben und Formen experimentieren.
Eine weitere schöne Übung ist, dein Gewahrsein nacheinander auf etwas zu lenken, was ganz nahe ist, dann auf etwas, was in deinem unmittelbaren Umfeld zu sehen ist, und schließlich auf etwas, das es weiter entfernt zu entdecken gibt. Dann beginn von vorne – so lange bis du ganz im Moment angekommen bist.
Hören
Nimm dir an einem Tag deiner Wahl bewusst Zeit, um ein Musikstück, das du magst oder das deine Neugier weckt, bewusst wahrzunehmen, z.B. auf dem Sofa sitzend. Achte zunächst nur auf die Musik selbst – also das An- und Abschwellen der Melodie, den Rhythmus, die Klangfarbe etc. Dann lenke deine Aufmerksamkeit auf deine Reaktionen auf die Musik. Vielleicht kannst du eine Veränderung deiner Stimmung, das Auftauchen eines Gefühls oder eine Körperempfindung wahrnehmen?
Du kannst auch mehrmals am Tag innehalten und bewusst auf die Geräusche achten, die im aktuellen Augenblick wahrnehmbar sind. Hörst du Blätter rascheln, Autos vorbeibrausen, Babygeschrei, Vogelgezwitscher, den Wind, den Löffel, der gegen den Rand der Kaffeetasse schlägt? Teilst du diese Geräusche sofort in angenehm oder unangenehm ein – oder kannst du ihnen ganz offen, neugierig und neutral begegnen?
Tasten
Die Haut ist unser größtes Sinnesorgan und häufig eine Quelle des Glücks, z.B. wenn wir eine Streicheleinheit oder eine Massage bekommen. Es kann aufregend sein, die Aufmerksamkeit einmal bewusst auf den Tastsinn zu legen und z.B. bekannte Gegenstände einmal bewusst und mit geschlossenen Augen zu erfühlen (eine Walnuss, einen Schlüssel, den Autositz, deine Lieblingsjacke u.a.). Du kannst dich auch auf einen „Tastspaziergang“ durch deine Wohnung und deinen Garten machen und die Struktur der Wand oder deiner Sofakissen, die zarten Adern eines Blatts oder die krümelige Beschaffenheit der Erde erfühlen. Vielleicht möchtest du auch barfuß durch das taunasse Gras am Morgen gehen und deine Füße dann mit einem rauhen Handtuch trockenrubbeln.
Riechen & Schmecken
Diese beiden Sinne sind besonders eng mit dem limbischen System und daher mit Emotionen und Erinnerungen verbunden. Bewusst vertiefen kannst du die Erfahrung von Riechen und Schmecken vor allem beim Essen. Nimm doch eine nächste Mahlzeit einmal ganz achtsam und aufmerksam zu dir. Erforsche den Geschmack und die Konsistenz der einzelnen Bestandteile des Gerichts. Nimm den Duft bewusst wahr. Vielleicht kann dich auch jemand füttern, während du deine Augen geschlossen hältst und du versuchst zu erraten, was du da isst.
Eine andere Möglichkeit ist es, einmal ein neues Gewürz, eine neue Zubereitungsweise einer Speise oder ein neues Restaurant mit Spezialitäten aus einer anderen Kultur zu probieren. Achte dabei genau auf Geruch und Geschmack. Oder du stellst dir eine Art „Duftwecker“, so dass dein Handy z.B. alle zwei Stunden klingelt und du in diesem Moment bewusst erschnupperst, welche Gerüche in deiner Umgebung in der Luft liegen. Du kannst auch auf Geruchsexpedition gehen: Wie riecht die Luft in deinem Wohnzimmer an einem sonnigen Morgen? Riecht es in einem anderen Raum anders? Gibt es einen Ort, der besonders angenehm duftet, z.B. das Bad?
An stressigen Tagen kannst du dich auch bewusst mit Düften und Geschmäckern verwöhnen, die du magst und liebst. Eine frisch gekochte Tasse Kaffee, eine duftende Bodylotion oder die zarte Süße von Griesbrei, der möglicherweise positive Erinnerungen weckt, kann eine gestresste Seele beruhigen und umschmeicheln.
Mehr Tipps & Infos rund um die Kraftquelle Achtsamkeit:
Anne Katrin Külz:
„Die Kraft liegt im Augenblick – Mit Achtsamkeit Depressionen lindern“,
Herder Verlag 2016