Die Gründe, auf der Yogamatte Platz zu nehmen, sind so unterschiedlich wie wir Menschen. Bei mir war es in den neunziger Jahren der Wunsch nach Ausgleich zu einem sehr fordernden Beruf. Mit einfachen Übungen konnte ich mein aufgewühltes vegetatives Nervensystem in die Balance führen und mein Geist antwortete verlässlich mit Ruhe und Klarheit. So ging ich gestärkt und gut aufgestellt zurück in den Berufsalltag, um dort „meinen Mann zu stehen“. Der Yoga half mir in diesen Zeiten ganz außerordentlich, den vielfältigen Anforderungen gewachsen zu sein, die mein Berufsleben an mich herantrug. Im beruflichen Alltag aber funktionierte ich wie ein Aufziehmännchen, ohne bestehende und von außen vorgegebene Strukturen in Frage zu stellen.
Über viele Jahre hielt ich tapfer an meinem ursprünglichen Beruf fest, den ich zwar zur Zufriedenheit aller bestens ausführte, der mir aber im Grunde meines Herzens – oder besser gesagt im Grunde meiner Seele – nicht entsprach. Erst 16 Jahre später war ich bereit und mutig genug, mein Sicherheitsbedürfnis loszulassen und der Stimme meines Herzens zu folgen. Ich wagte den Sprung ins Ungewisse, um endlich herauszufinden, was das Leben sonst noch für mich bereithielt und um meine Bestimmung einzulösen.
„Und es kam der Tag, da das Risiko, in der Knospe zu verharren, schmerzlicher wurde als das Risiko zu blühen.“ Anais Nin
Rückblickend kann ich erkennen, wie der Yoga ganz entscheidend dazu beigetragen hat, diesen Mut in mir zu kultivieren und Schritte zu wagen hin zu mehr Stimmigkeit und Erfüllung. Steter Tropfen höhlt ja bekanntlich den Stein.
Tief in unseren Herzen sehnen wir uns alle nach Sinn und Erfüllung. Die „Engeldolmetscherin“ Alexa Kriele beschreibt sehr anschaulich in ihrem Buch „Sprich mit deinem Körper“ wie jeder von uns in mit einem ganz bestimmten Lebensentwurf auf die Welt kommt. Je mehr wir unserer Lebensabsprache entsprechend leben, umso zufriedener werden wir sein. Je stärker wir von unserer Lebensabsprache abweichen, umso unerfüllter werden wir unser Hiersein auf Erden erleben.
Ganz gleich, ob man den blumigen Schilderungen von Alexa Kriele in allen Details folgen möchte: Es lohnt sich, sich dem Kern ihrer Aussage zu stellen. Wir sehnen uns nach einem Leben in Übereinstimmung mit unserer Lebensabsprache. Daher ist es von großer Bedeutung, ein Gefühl für unser Herzensanliegen zu entwickeln, das uns auf die Erde hat kommen lassen. Unstimmigkeiten und Abweichungen von unserem Lebensentwurf haben ihren Preis.
Durch Yoga die Selbstwahrnehmung verfeinern
Der Yoga nimmt uns auf friedliche Weise an die Hand. Wir nehmen auf unserer Yogamatte Platz, schließen die Augen und erlauben den inneren Landschaften, sich zu entfalten. Wir singen mystische Mantras und tragen die Schwingungen mit einem sanftmütigen Lächeln hinaus in die Welt. Wir erforschen in Meditationen feinstoffliche Energien, indem wir immer durchlässiger und empfänglicher werden. Kurz: Wir üben uns in der Fähigkeit, uns einzustimmen.
Und diese Einstimmungsfähigkeit wird zum entscheidenden Schlüssel auf dem Weg der Veränderung und der Befreiung. Die vielen wundervollen Übungen, die der Yoga für uns bereithält, stärken in ihrer Essenz genau diese Kompetenz. Wir verfeinern und differenzieren unsere Selbstwahrnehmung, wir blicken immer mutiger in den Spiegel der Selbsterkenntnis, entdecken verborgene Wünsche und Bedürfnisse und stärken unsere Fähigkeit, subtilere Informationen zu empfangen, welche die Sendezentrale unbewusster Weisheit für uns bereithält.
Und ohne, dass dies im Yogaunterricht explizit zum Thema werden muss, werden wir sensibler für all die schmerzlichen Unstimmigkeiten in unserem Leben. Der Yoga weckt in uns den (schlafenden) Wunsch nach Veränderung.
Gemäß der eigenen Bestimmung leben
Durch eine erhöhte Durchlässigkeit, gesteigerte Selbstwahrnehmung und den Wunsch, authentischer leben zu wollen, tritt die Stimme des Herzens immer stärker in den Vordergrund. Situationen, mit denen ich mich bislang arrangieren konnte, werden für mich zunehmend unerträglicher und ich beginne, diese mehr und mehr in Frage zu stellen.
Durch unsere regelmäßige, hingebungsvolle Yogapraxis wächst der Wunsch nach einem erfüllten Leben gemäß unserer Bestimmung. Wir erkennen zunehmend die Kostbarkeit unserer Lebensjahre. Durch stärkende Asanas und indem wir wieder und wieder mit lichtvollen Kräften in Kontakt treten und diese zunehmend in unser Leben integrieren, wachsen unser Selbstbewusstsein und unser Vertrauen in die Möglichkeiten des Lebens.
Und dann, nach vielen unzähligen Schritten der Vorbereitung, kommt der Tag, wie es die Schriftstellerin Anais Nin sehr lyrisch formuliert, und wir spüren den leuchtend brennenden Wunsch in uns, endlich zur vollen Schönheit zu erblühen. Wir erwachen zu unserer eigentlichen Bestimmung. Der Wunsch, ein stimmiges Leben zu führen, wird dann immer mehr zu einer existentiellen Leitlinie, die unserem Leben Sinn und Richtung gibt. Als Belohnung für unseren Mut erhalten wir wundervolle Stimmigkeitserlebnisse und Synchronizitätserfahrungen, indem wir unsere Zufriedenheit und das Gefühl, angekommen zu sein, hinausstrahlen in die Welt.
Der Yoga unterstützt uns vortrefflich auf dieser Reise, deren Schritte uns in die Freiheit führen möchten. Er tut dies auf sanfte Art und Weise. Nichtsdestotrotz können die Auswirkungen auf unser Leben radikal und tiefgreifend sein. Oft werden wir zu Vorbildern für andere, die ebenfalls das nagende Gefühl der Sehnsucht in sich tragen. Das Loslassen von alten, überflüssigen Bindungen meint das mutige Erkennen von Unstimmigkeiten und die wachsende Bereitschaft, not-wendige Entscheidungen und Schritte folgen zu lassen. Je stimmiger sich unser Leben gestaltet, desto weniger Verstimmungen verschiedener Art und Tragweite wird es geben.
Die Entscheidung liegt bei dir
Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, die uns ermöglicht, diesen Weg der Selbstentdeckung und der Selbstbefreiung zu gehen. Das ist – wie ich finde – durchaus bemerkenswert. Wenn es auch von staatlicher Seite aus in aller Regel keine Unterstützung auf diesem Weg gibt, so werden uns zumindest meiner Wahrnehmung nach doch keine Steine in den Weg gelegt. Jedem steht es frei, sich für diesen Weg zu entscheiden!
Durch die kontinuierliche Yogapraxis getragen und inspiriert können wir unsere Möglichkeiten ausschöpfen, selbstbestimmter und stimmiger zu leben. Wir können dem Ruf nach Erfüllung folgen und dafür all unsere gestalterischen Fähigkeiten in die Waagschale werfen.
Lokah Samastah Sukhino Bhavantu. Mögen alle Wesen Glück und Harmonie erreichen. Und ich möchte hinzufügen: Mögen alle Menschen ein Leben in Stimmigkeit führen, ihre Möglichkeiten erkennen und ausschöpfen, Erfüllung und Zufriedenheit finden und so zum Geschenk für die Welt werden.