Unterwegs in der Einheit des Seins.
Die Erwähnung des Sufismus, des mystischen Zweigs des Islams, ruft den meisten Menschen sofort die Poesie der berühmten Mystiker Rumi und Hafiz ins Gedächtnis. Weniger bekannt ist jedoch, dass es im 13. Jahrhundert einen weiteren sehr bedeutsamen Mystiker und Philosophen gab, der in Sufi-Kreisen als der „Größte Meister“ anerkannt wird und zu dessen Schülern schon Shams-i Tabrizi, Rumis spiritueller Lehrer, zählte. Dieser Mystiker aus Andalusien ist unter dem Namen Muhyiddin (arabisch für „Wiederbeleber des Glaubens“) Ibn Arabi bekannt.
Ibn Arabi ist Autor von etwa dreihundertfünfzig zum Teil sehr umfangreichen Werken sowie unzähligen Gedichten. Es heißt, dass er die gesamte mittelalterliche Mystik mit seiner Arbeit inspiriert hat. Er lehrte als erster Vertreter des Sufismus die Absolute Einheit aller Existenz und die Wege ihrer Selbstoffenbarung. Er verstand das Kreative Weibliche als höchste Manifestation Gottes und wurde aufgrund seiner mystischen Liebesgedichte der Ketzerei bezichtigt. Wer war dieser große, der westlichen Bevölkerung vorwiegend unbekannte Meister, und wie relevant sind seine Lehren für spirituelle Schüler heute?
Welche Herrlichkeit!
Ein Garten inmitten der Flammen!
Mein Herz hat sich für
jegliche Form geöffnet:
Es ist eine Weide für Gazellen,
und ein Kloster für
christliche Mönche,
und ein Tempel für Götterbilder,
und die Kaaba der Pilgernden,
und die Tafeln der Tora,
und das Buch des Korans.
Ich folge der Religion der Liebe:
Welchen Weg die Kamele der Liebe
auch einschlagen,
das ist meine Religion
und mein Glaube.
Ibn Arabi
Die frühen Jahre
Ibn Arabi wurde im Jahre 1165 im spanischen Murcia geboren. Als er etwa acht Jahre alt war, siedelte die Familie nach Sevilla um, wo er die nächsten siebenundzwanzig Jahre verbrachte.
Seine visionäre Gabe zeigte sich bereits im frühen Alter. Mit zwölf Jahren erkrankte er schwer und wurde schon für tot gehalten. In diesem Zustand hatte er eine erste tiefe Erfahrung mit der Koran-Sure Ya Sin, die traditionell am Totenbett gelesen wird. Ibn Arabi schrieb dazu später: „In diesem Zustand sah ich schrecklich aussehende Menschen, die versuchten, mir wehzutun. Dann bemerkte ich jemanden – freundlich, stark und einen lieblichen Duft ausströmend –, der mich gegen sie verteidigte und dem es gelang, sie zu besiegen. ‚Wer bist du?‘, fragte ich. […]