Das kelto-germanische Rad der Zeit, Teil 6:
Feste & Bräuche im Spätsommer
Die Suche nach den animistischen Wurzeln der Jahresfeste unserer kelto-germanischen Vorfahren führt uns direkt zum Mythos, der in jeder Kultur die Basis der Kosmologie mit all ihren Zyklen und Ereignissen bildet. Die Feste markieren die wichtigsten Punkte im Sonnen- und Mondjahr. Das Sonnenjahr besteht aus zwölf Monaten, das Mondjahr aus dreizehn. Die Sonnenfeste haben ein fixes Datum, die Mondfeste richten sich meist nach dem ersten Vollmond im jeweiligen Monat.
Feste im August1: Aranmanoth2, Arnodmanod, Erntemond, Weidemonat
Obwohl es keine Hierarchie bezüglich der Wichtigkeit der Mondfeste gibt, hat das Erntefest einen hohen Stellenwert. Die Ernte entscheidet schließlich, ob genug Lebensmittelvorräte und Saatgut eingebracht werden können, um die Sippe über den Winter zu bringen und die Aussaat im nächsten Jahr zu gewährleisten.
In dieser Jahreszeit verwandelt sich der milde Sonnengott Baldur (german.) oder Bellenos (kelt.) in den Feuerriesen Loki (german.) oder Lug (kelt.). Seine Gefährtin ist die Erntegöttin Annona3, die Matrone4, die aus ihrem Erdenleib unzählige Kinder gebiert. Aus ihrem Füllhorn quillt ein niemals versiegender Strom reifer Früchte und nahrhaften Getreides. Aber all das kann sie nur vollbringen, wenn andere wichtige Götter Schutz spenden und wohlwollend die Reifung der Vegetation unterstützen und begleiten. Außerdem müssen die Riesen, die überdimensionalen, unbezähmbaren Naturkräfte, kontrolliert werden.
Ohne den Donnergott Thor fließt kein sanfter Regen, um die nötige Feuchtigkeit zu spenden. Denn er hat mit seinem mächtigen Hammer Mjölnir5 die Gewalt über die Riesenkräfte von Unwetter, Blitz und Hagel. Und ohne seine Gemahlin, die Korngöttin Sif 6 und ihre stetig wachsenden goldenen Haare, die Getreideähren, können Hunger und Not im ganzen nächsten Jahr das Überleben von Mensch und Tier gefährden. Zusätzlich beschützt die Göttin Freya als Zauberin alle Heilpflanzen, die in dieser Zeit ihr Potenzial entwickeln und voll zur Entfaltung bringen.
1. August – Lugnásad7, Hǫrmeitiðblót8, Loaf-Mass9 oder Lammas
Da die Flachs- und die Kornernte sich nach der jeweiligen Wetterlage richten, die wesentlich durch den Vollmond beeinflusst wird, ist dies ein bewegliches Mondfest.
Die Germanen kannten mehrere Faserpflanzen, aus denen sie ihre Kleidung, Seile und andere Gebrauchswerkzeuge oder Gegenstände des täglichen Bedarfs herstellten. Der Flachs oder Lein (Linum usitatissimum) und der Hanf (Cannabis sativa) lieferten beide als Faserpflanzen ein schier unzerreißbares Gewebe und wurden […]