Darshan mit Advaita-Lehrer OM C. Parkin*
Hallo OM. Ich habe eine Frage zur Meditation. Ich habe ja viele Jahre verschiedenste Erfahrungen auch mit verschiedenen Methoden gemacht, und auch hier in der Gemeinschaft gehört es ja ganz selbstverständlich zum Alltag. Ich hab dich gehört, wenn du sagst: „Tue, was du tust“ und ich habe einen Geschmack von einem meditativen Leben. Ich habe einfach die Bitte an dich, über die Bedeutung von Meditation, von meditativer Praxis auf dem Inneren Weg zu sprechen.
Die Frage stellt sich: Was ist meditative Praxis? Es gibt einen Bewusstseinszustand, den die Menschen mit „Alltag“ umschreiben. Dieser Bewusstseinszustand, der mit dem Begriff „Alltag“ umschrieben ist, ist gekennzeichnet durch zweierlei Tendenzen. Erste Tendenz: der Drang zur mechanischen Wiederholung, sprich, Gewohnheit und zweitens ein Sein in der Oberflächlichkeit meines Bewusstseins. Das sind beides Tendenzen, die einen Bewusstseinszustand hervorbringen, den man durchaus als das Gegenteil von Meditation beschreiben könnte.
Ich komme aus einer Linie – oder auch Nicht-Linie, wie auch immer man das jetzt betrachten will – einer Linie, die jede Linie zerstört, die in ihrer Essenz auch nicht mehr an begrenzter Praxis von Meditation interessiert ist. Das Grunddilemma von begrenzter Praxis der Meditation ist ja folgendes: Ich meditiere 30 Minuten am Tag, die restlichen 23 ½ Stunden schlafe ich ein. Natürlich ist das immer noch besser als 24 Stunden zu schlafen. Insofern ist die Praxis der Meditation ja nicht verkehrt. Außerdem dient diese Praxis, im begrenzten Sinne die Praxis der Meditation, sie trachtet danach, diesem Bewusstsein Nahrung zu geben, was die Oberflächlichkeit und Belanglosigkeit des Alltagsbewusstseins verlässt. Meditation ist Leben am Grund des Seins, Meditation ist Sein in einer Tiefe des Bewusstseins, das die Flüchtigkeit und die ständige Bewegung der oberflächlichen Wellenbewegungen zurücklässt.
Diese Linie versteht Meditation als einen Zustand, der aufrechterhalten werden muss jenseits von Körperhaltungen, jenseits von äußeren oder inneren Bedingungen. Die hohe Kunst der Meditation ist die Meditation auf dem Marktplatz, wie Papaji es ausgedrückt hat. Er ging mit den Schülern auf den Marktplatz – und du weißt, wie das auf einem indischen Marktplatz aussieht – und auf diesem Marktplatz das Gewahrsein des Selbst zu bewahren, ohne mit Sinneseindrücken des Marktplatzes auch nur die geringste Verbindung einzugehen – das ist Meditation. Natürlich brauchen die Menschen – und bestimmte Traditionen fördern diesen Weg explizit – immer wieder den Rückzug vom Marktplatz, der zunächst nicht die Meditation, sondern die Unbewusstheit lehrt, um sich dann in vollständiger Innenschau und äußerer Stille diesem natürlichen Zustand annähern zu können. Es ist mit Sicherheit sehr viel einfacher, auch für dich, im Herzen des Ortes der Stille hier zu meditieren, als auf der Mönckebergstraße in Hamburg. Du kannst und du solltest, und es ist empfehlenswert, diese Praxis der Meditation als ein Eintrittstor zu nutzen und diese Praxis so lange zu verwenden, wie sie dich diesem natürlichen Zustand annähert, wie sie diesen natürlichen Zustand nährt. Es gibt dann einen Moment, wo deutlich wird: Die Praxis wird zum Hindernis. Aber ich denke, da bist du nicht, und die anderen Menschen, die in der Gemeinschaft hier leben, auch nicht. Deshalb empfehle ich dir, diese Praxis fortzusetzen und sie dann in innerer Unterscheidungskraft aufzugeben, wenn sie nicht mehr zur Expansion, sondern zur Begrenzung dieses Bewusstseinszustandes beiträgt, indem sie dann begonnen hat dem Ich zu lehren, es komme darauf an, in einer bestimmten Körperhaltung zu sitzen, um Meditation erfahren zu können.
Natürlich muss sich das Bewusstsein dieses Zustandes ausdehnen auf jeden Moment. Es ist der natürliche Zustand eines jeden Momentes, unabhängig davon, welche Wellen an der Oberfläche toben. Es ist der natürliche Zustand. Und in diesem Zustand ist äußere Arbeit mit einem kleinen Prozentsatz des Krafteinsatzes möglich, der vorher aufgewendet werden musste, als sich das Bewusstsein an der Oberfläche ständig in diese Wellen einmischte. Es ist anstrengend, ständig auf einer Nussschale unterwegs zu sein auf dem Ozean, stimmt‘s? Man wird ständig hin und her geworfen. Es ist eine ständige Unruhe. Selten kein Wind, selten dieses von mir gewünschte Idealbild von einer spiegelglatten Oberfläche mit Blick auf den Grund. Meistens Wind, manchmal Sturm, es bleibt unruhig.
Weißt du, die Menschen suchen nach Ruhe und du weißt, wo sie nach Ruhe suchen. Nicht da, wo sie wirklich zu finden ist. Diese Stille, die wir suchen, nach der sich der Meditierende so sehnt, ist eine Stille, die in der Tiefe jederzeit verfügbar ist. Es ist ausschließlich die Oberflächlichkeit des denkenden Ichs, die es davon abhält, diese Tiefe zu realisieren, zu leben, zu erkennen. Denn, wie wir wissen, ist diese Tiefe auch ewige Dunkelheit. Sie ist nicht die Dunkelheit, welche das lineare Denken als solche versteht. Sie ist Dunkelheit, die von transparentem Licht durchdrungen ist. Es ist Dunkelheit und Licht zugleich, aber es ist auch dunkel.
Dieser Abstieg wird von vielen Geistern eben dadurch verhindert, dass sie nicht bereit sind, in diese Dunkelheit abzusteigen und den Schutz der Oberfläche und des oberflächlichen Lebens, die Seichtheit des oberflächlichen Lebens vorziehen, als Schutz vor der Dunkelheit, die sie in der Tiefe erwartet. So ist der Fall in Meditation immer auch ein Fall in Dunkelheit. Es ist nicht die Dunkelheit, von der das Ich ein Bild hat. Es ist durchdrungene Dunkelheit. Du möchtest sie kennenlernen? Tauche ein.
Wie ich vorhin schon sagte, alles, was wir kennenlernen möchten, von dem wir wissen möchten, was es wirklich ist, damit müssen wir eins werden. Die anfänglichen Versuche von Meditation sind gekennzeichnet durch Kämpfe mit Gedanken, Kämpfe mit Unruhe, Kämpfe mit Schmerzen des Körpers, einschlafenden Gliedern, Kämpfe mit der Zeit, Kämpfe mit dem Raum, Kämpfe jeder Art. So ist unsere Annäherung an Meditation. Wir wollten Frieden finden, und was finden wir? Unfrieden jeder Art. Und wenn wir dann durch diese Phase hindurchgetreten sind, mit dem Wissen um den Umgang mit dem Gegner, wenn wir in die Lage versetzt werden, ihn kommen zu lassen und ihn auch wieder gehen zu lassen, wenn wir durchlässiger werden, wenn wir nicht mehr verstrickt sind mit den Kämpfen an der Oberfläche, dann fallen wir ganz von selbst. Es ist eine Absurdität, die darin liegt: Wir kämpfen an der Oberfläche, um endlich fallen zu können, kämpfen gegen Feinde, die uns daran hindern wollen, und bemerken nicht, dass es der Kampf selbst ist, und dass es vollkommen gleichgültig ist, in wessen Namen, ob es in Namen des Guten, des Bösen oder sogar im Namen der Meditation geschieht.
Ich gebe manchmal das Bild eines Schwimmers im Ozean. Wenn er jede Form von Bewegung, jedes Paddeln und jeden Versuch, an der Oberfläche zu bleiben, wenn er jede Bewegung aufgibt, dann sinkt er, stimmt’s? Und wenn er sinkt, dann stirbt er. Und genau das ist es, was diesem Geist widerfahren muss. Erkennen zu können, dass etwas sterben darf, ohne dass das, was ich wirklich bin, stirbt. Das mein Ich sterben kann, ohne dass ich sterbe. Meditation ist Sterben, Meditation ist Fallen, Meditation geschieht im natürlichen Fall des Bewusstseins in sich selbst. Meditation ist Verlassen der Oberfläche und damit auch Verlassen der Welt. Es ist Verlassen des Liebgewonnenen genauso, wie das Verlassen des Leidgewonnenen. Es ist das Verlassen von allem. Und damit der Gewinn meiner selbst. Alles verlassen, um erkennen zu können, was bleibt. Dafür haben die wenigsten Menschen den Mut, das Vertrauen, die Wahrhaftigkeit, die Freiheitsliebe, die Radikalität, die Entschlossenheit, die letzte Konsequenz.
Finde diese Tugend in dir, die dich auch hierher geführt hat, und folge ihr. Du kannst fallen. Es ist anstrengungslos. Wir müssen Fallen nicht anschieben, es geschieht von selbst. Das ist das Geheimnis, dass alles von selbst geschieht. Wir müssen einfach nur aufgeben, das ist alles. Alles aufgeben. Und uns fragen, ernsthaft fragen, woran wir noch hängen. Es ist ganz einfach.
Über OM C. Parkin
Der spirituelle Meister, Weisheitslehrer und Philosoph OM C. Parkin lehrt in der Tradition von Ramana Maharshi konfessionsübergreifend den Zugang zur Großen Stille und verkörpert die Verbindung von östlicher Nicht- Zweiheitslehre (advaita) und christlicher Mystik. Er ist Gründer und Leiter des modernen Klosters Gut Saunstorf – Ort der Stille.
OM ist hellwach, hochkonzentriert und vollkommen präsent. Er wirkt hanseatisch nüchtern und zurückhaltend. seinem (inneren) Blick entgeht nichts, er schaut auf den Grund der Dinge und direkt in die Herzen der Menschen. und unbestechlich. Seine Direktheit ist entwaffnend -und erhellend und berührend. www.kloster-saunstorf.de
*Auszug aus einem Darshan mit OM vom 16.11.12, Gut Saunstorf – Das moderne Kloster