Hast du ab und zu das Gefühl, dass dir alles über den Kopf wächst? Gibt es Tage, an denen du das Gefühl hast, dass deine spirituelle Praxis keinen Erfolg zeigt? Die Aufs und Abs gehören zu unserem Lebensweg dazu, aber auch zu unserem spirituellen Weg. Schau einfach geradeaus und verbinde dich mit höheren Kräften. Dann wirst du erkennen, dass es weitergeht, wenn du weitergehst.
Seit einiger Zeit gebe ich einmal in der Woche in einer Münchner Behörde Achtsamkeitsunterricht. Meditationen im Sitzen und Gehen wechseln sich ab. Manche Teilnehmer lassen sich neugierig auf die Übungen ein. Andere wiederum tun sich schwer, den Anleitungen zu folgen. Zu viele Gedanken gehen ihnen durch den Kopf. Zu viele Gefühle hindern sie daran, in die Stille einzutauchen. Und zu viele Körperempfindungen lenken sie ab und vermitteln ihnen das Gefühl, dass sie nicht stillsitzen können.
An manchen Tagen tun sich die Teilnehmer mit dem Sitzen leichter, an anderen fällt es ihnen schwerer. An diesen Tagen baue ich meist eine längere Gehmeditation ein. Dies tat ich auch vor zwei Wochen, als eine neue Teilnehmerin dazu kam. Sie befindet sich in einer schwierigen Lebenssituation: Sie muss ihre alten Eltern pflegen, hat gerade eine Scheidung hinter sich und auch mit ihrem Vorgesetzten hat sie Schwierigkeiten. Sie hat gerade das Gefühl, dass jeder Schritt sie ermüdet und nichts so geht, wie sie es sich wünscht.
Ich machte mit der Gruppe die Meditation über den Buddha, der hilft. Ich persönlich liebe diese Meditation, in der es darum geht, den Buddha in dir selbst anzurufen, um Hilfe zu bitten und sich von ihm unterstützen zu lassen. Es ist eine sehr wirkungsvolle Praxis.
Wir machten diese Meditation mehrere Minuten und die anfängliche Skepsis, die dieser Frau auf die Stirn geschrieben stand, wich nach und nach. Ihr Gang wurde ruhiger und ihr Gesichtsausdruck wirkte mit der Zeit immer entspannter. Als wir nach der Meditation eine kleine Blitzrunde machten und ich die Teilnehmer fragte, wie es ihnen mit dieser Übung ergangen sei, meldete sie sich. „Ich war voller Widerstände, mich auf diese Übung einzulassen.“ Dann lächelte sie und fuhr fort: „Ein Teil in mir versuchte mich die ganze Zeit davon abzuhalten. Dieser Teil fand die Übung lächerlich und das ganze Unterfangen eine vollkommene Zeitverschwendung. Ein anderer Teil aber folgte der Anweisung und ging einfach weiter, hörte genau zu, hörte die Zeilen:
Ich genieße das Atmen. Ich genieße das Gehen.
Der Buddha ist Atmen. Der Buddha ist Gehen.
Ich bin Atmen. Ich bin Gehen.
Es gibt nur Atmen. Es gibt nur Gehen.
So ging auch ich immer weiter. So lange, bis es endlich ganz ruhig in mir wurde. Plötzlich wusste ich, dass es immer weitergeht. Auch wenn ich selbst das Gefühl habe, dass gar nichts geht. Und dann war die Meditation zu Ende.“
Den inneren Zweifler überhören
Vielleicht kennst auch du die Erfahrung, dass ein Teil in dir eine spirituelle Praxis lächerlich findet und ein anderer Teil hingegen weiß, wie gut sie dir tut. Vielleicht kennst du auch solche Momente, in denen du das Gefühl hast, dass die ganze Praxis, die du vielleicht seit vielen Jahren machst, dich nicht vor einer Trennung, Krankheit oder Arbeitsplatzverlust bewahrt, dass eh alles sinnlos ist – und sich ein Weitermachen oder Weitergehen nicht lohnt.
An solchen Tagen, an denen nichts klappen will und in solchen Phasen, in denen sich das Leben dir scheinbar in den Weg stellt, ist es besonders wichtig dranzubleiben. Einfach weiterzumachen. Einfach weiterzuüben. Einfach weiterzugehen. Auch dann, wenn die Stimme des inneren Zweiflers laut und lästig tönt.
Natürlich sind besonders solche Tage und Phasen schwierig, aber wenn wir dann dranbleiben, dann kann das Gefühl der Verzweiflung, der Hoffnungslosigkeit, der Angst oder des Zweifels plötzlich umschlagen und wir spüren, dass es gut mit uns weitergeht, wenn wir einfach weitergehen.
Immer geradeaus
Wenn wir uns an solch besonders dunklen Tagen mit den inneren und höheren Kräften verbinden, den Buddha in uns atmen und gehen lassen, dann sind wir auf dem richtigen Weg und wissen, dass der Weg über Berge und Wiesen, durch Wüsten, Täler und Oasen geht. Dann wissen wir, dass der Weg, den wir gehen, der richtige ist. So wie es eine Geschichte aus dem alten China erzählt: „Eine alte Frau lebte an der Straße, die zum Berg Wutai führte. Ein Mönch kam vorbei und fragte: ‚Welches ist der Weg zum Wutai (dem wichtigsten heiligen Berg der Buddhisten in China)?’ Die alte Frau sagte: ‚Einfach immer geradeaus.’ Der Mönch ging ein paar Schritte und sie sagte: ‚Er ist ein guter Mönch, aber schon verläuft er sich wie alle anderen’. Viele Mönche kamen, stellten die gleiche Frage und erhielten die gleiche Antwort.“
Mach es wie die Mönche: geh und verlauf dich. Finde wieder auf den richtigen Weg, geh einfach weiter und sag dir dabei immer wieder:
Ich genieße das Atmen. Ich genieße das Gehen.
Der Buddha ist Atmen. Der Buddha ist Gehen.
Ich bin Atmen. Ich bin Gehen.
Es gibt nur Atmen. Es gibt nur Gehen.
Infos
Die Geschichte vom Berg Wutai stammt aus dem Buch Das verborgene Licht: 100 Geschichten erwachter Frauen aus 2500 Jahren, betrachtet von (Zen-)Frauen heute von Florence Caplow, edition steinrich 2016