Yoga ist ein wunderbarer Weg herauszufinden, was für den eigenen Körper und Geist stimmig und gut ist. Diese Achtsamkeit spielt in der Schwangerschaft eine umso wichtigere Rolle, da eine werdende Mutter nicht nur für den eigenen Körper sorgt, sondern für ein weiteres, zarteres Wesen.
Eine schwangere Frau hat die einzigartige Gelegenheit, sich mit einem anderen Individuum so eng zu verbinden, wie es enger wohl kaum möglich ist. Darüber hinaus lässt sich die Schwangerschaft auf spiritueller Ebene erfahren, der Beginn einer tiefgehenden Transformation.
Veränderungen willkommen heißen
Transformation bedeutet, bekannte Muster loslassen und Veränderungen zulassen. Doch der Mensch ist ein Gewohnheitstier und begegnet Veränderungen selten mit überschwänglicher Begeisterung. Insbesondere dann, wenn wir meinen, eine Veränderung würde uns limitieren.
Eine Schwangerschaft kommt mit vielen Veränderungen auf körperlicher, emotionaler und geistiger Ebene einher, die sich auf den ersten Blick einschränkend anfühlen können. Übelkeit, Schmerzen, Verschiebungen des Gleichgewichts, Stimmungsschwankungen und alles, was man plötzlich besser nicht mehr machen „sollte“, da es dem Baby unter Umständen schaden könnte, zählen hierzu. Doch wie immer im Leben haben wir die Wahl, wie wir die Situation betrachten wollen. Wir können unsere Aufmerksamkeit auf mögliche Beschwerden lenken, auf das, was nun nicht mehr „geht“, oder auf die wundervolle Transformation, die mit dem neuen Leben im Bauch begonnen hat – ein spiritueller Wegweiser für die Entwicklung der Mutter.
Auf den Bauch hören
Wer sich mit den Grundsätzen des Yoga beschäftigt, dem ist der Begriff Ahimsa bekannt. Ahimsa beschreibt die Gewaltlosigkeit, ein Prinzip, welches wir auch uns selbst gegenüber und in unserer Yogapraxis stets befolgen sollten. Damit fällt idealerweise ein leistungsorientierter Ansatz der Asanapraxis weg, denn wir praktizieren nicht, um ein Asana in seiner äußerlichen Perfektion zu lernen, sondern um den größten Nutzen für unseren Körper und Geist aus der Übung zu ziehen. Ein Nutzen, der von außen nicht sichtbar ist, jedoch spürbar – wenn wir es zulassen.
Doch wir leben in einer leistungsorientierten Gesellschaft, Ergebnisse zählen. Natürlich fällt es da den meisten Menschen schwer, auf der Yogamatte plötzlich vollkommen entspannt und frei von Ehrgeiz zu sein. Kopf und Ego stehen im Weg. Der Vergleich mit den Yogi(ni)s auf den Matten neben uns, der Vergleich mit unserer eigenen Praxis vor einer Woche oder mit perfekten Fotos auf Instagram, Facebook und Co. treibt uns an.
Schwangere Frauen sind hiervon nicht ausgenommen. Bilder von schwangeren Frauen im Handstand oder in tiefen Rückbeugen sind keine Seltenheit, gerne mit einem stolzen Kommentar: „Das war 24 Stunden vor der Geburt.“ Es ist überhaupt nichts Schlechtes, auch in fortgeschrittener Schwangerschaft weiterhin eine physisch fordernde Praxis zu haben. So lang diese Praxis mit Achtsamkeit ausgeführt wird, ist alles gut. Problematisch wird es dann, wenn sich die Idee, dass eine Schwangerschaft auf die Yogapraxis keinen Einfluss mehr haben darf, in den Köpfen festsetzt. Vielmehr noch als sonst sollte eine Frau in dieser entwicklungsreichen Phase auf ihren Bauch hören und „ihr Yoga“ an die veränderten Umstände anpassen. Schwangerschafts-Yoga kann hierbei eine gute Hilfe sein.
Yoga in der Schwangerschaft oder Schwangerschafts-Yoga?
Der Unterschied zwischen einer Asanapraxis in der Schwangerschaft und Schwangerschafts-Yoga ist enorm. Im Perinatal-Yoga geht es darum, körperlich, mit dem Atem als auch auf emotionaler Ebene für das werdende Leben präsent zu werden. Im Vordergrund steht das Weichwerden und sich öffnen. Mit sanften Asanas und Atemübungen wird gezielt auf die Geburt vorbereitet. Die Muskulatur lernt aktiv loszulassen, während die erforderliche Kraft und Ausdauer für die weitere Schwangerschaft sowie für die Geburt trainiert werden. Notwendige Veränderungen des Körpers werden unterstützt und Beschwerden gelindert. Entspannung reduziert die Ausschüttung von Stresshormonen und lässt zu, dass die Mutter bereits einen innigen Kontakt zu ihrem Kind aufnehmen kann. Mit jeder Übung sendet sie positive Signale an ihr Baby und gibt ihm das Gefühl, dass es geliebt, willkommen und sicher ist. Das Bonding beginnt somit bereits lange bevor das Baby auf der Welt ist.
Das schwangere Gehirn
Für alle, bei denen das „Wollen“ doch gerne über die Intuition siegt: es gibt einen Joker. Das Gehirn funktioniert in der Schwangerschaft anders. Die Schwangerschaftsdemenz (und nach der Schwangerschaft die Stilldemenz) kann sich auf den ersten Blick ebenfalls wie eine Art „Behinderung“ anfühlen. Wir werden einfach verdammt vergesslich. Doch hat sich die Natur etwas dabei gedacht. In der Schwangerschaft verlagert sich die Aktivität der Gehirnhälften. Die linke, rational denkende Gehirnhälfte tritt zugunsten der rechten, emotional-intuitiven Gehirnhälfte etwas in den Hintergrund.
Die daraus folgende veränderte Denkweise hilft dabei, in der Schwangerschaft und ganz besonders während der Geburt intuitiv das Richtige zu tun. Haben Frauen die Möglichkeit, während dieser Phasen nach innen zu hören, treffen sie von Natur aus die für das Baby und für sich selbst besten Entscheidungen.
Je mehr Reize die Aktivität der linken Hirnhälfte triggern (z.B. Stress, Fragen, bei der Geburt auch grelles Licht und Hektik), umso mehr wird diese Intuition gestört. Für die Geburt bedeutet das, je geringer die Einwirkungen von außen, umso besser können die natürlichen Prozesse ablaufen. Für die Schwangerschaft bedeutet es einen riesigen Vorteil für die spirituelle Entwicklung. Eine gute Voraussetzung für mehr Achtsamkeit und weniger Leistungsdruck in der Yogapraxis. Wo die Nichtschwangeren unter uns verkopfter an die Yogapraxis gehen, haben die Schwangeren einen Vorsprung. Diesen Vorsprung können sie nutzen, um eine starke Verbindung zu ihrem Inneren aufzubauen und eine wahrhaft spirituelle Yogapraxis jenseits von äußeren Vorgaben zu kultivieren.
Dran bleiben und cool bleiben
Betrachten wir nun die Schwangerschaft vielmehr als Chance und nicht als Handicap, gilt es, am Ball zu bleiben. Denn ist das Baby erst einmal da, konfrontiert es seine Eltern laufend mit einer Menge Veränderungen. Manchmal ist es da eine allzu große Herausforderung, eine tägliche Yogapraxis beizubehalten. Der eigene Kopf will 90 Minuten, das kleine Wesen ist aber schon nach einem 20-Minuten-Nickerchen wieder fit. Da hilft die Besinnung auf die Qualitäten, die in der Schwangerschaft aufgeblüht sind: Anpassungsfähigkeit an den Moment, präsent sein, Verbindung mit dem Kind. Und das ist erst der Anfang…
Autor
Barbara Ekelund ist ausgebildete Redakteurin und Diplom-Ökotrophologin. Sie praktiziert seit ihrer eigenen Kindheit Yoga. Vor acht Jahren absolvierte sie ihre erste Yogalehrer-Ausbildung gefolgt von den Birthlight-Ausbildungen im Baby-Yoga, Toddler-Yoga und Perinatal-Yoga. Seit 2013 bringt sie die Birthlight-Yogalehrer-Ausbildungen rund um Schwangerschaft, Geburt und die ersten Lebensjahre regelmäßig nach Deutschland.
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