Für viele Yogalehrer ist es eine echte Herausforderung, vor einer Gruppe zu sprechen; teilweise wird es sogar als körperliche Anstrengung empfunden. Hierbei kann es sehr hilfreich und lohnend sein, den Fokus präzise auf die Phonation zu richten.
Wenn wir Yoga praktizieren, nähern wir uns auf natürliche Weise dem selbst bewussten stimmlichen Ausdruck an. Wir öffnen die für den Klang notwendigen Atemräume und kräftigen die Atemmuskulatur.
Wer mit dem Thema etwas Erfahrung hat, weiß u.a., dass es an der besonderen Verbindung zwischen Psyche und Physis liegt, die bei der Stimme – wie kaum sonst – mit eine Rolle spielt. Daher braucht es Mut. Den Mut, „einen Schritt auf Gott zuzumachen und darauf zu vertrauen, dass er uns entgegenkommt“, wie es Dr. Vandana Shiva, eine indische Wissenschaftlerin, Autorin und Aktivistin treffend benennt. Die bewusst eingesetzte Stimme unterstützt zudem den Ausgleich zwischen Machen und Zulassen.
Komm bei dir an, bevor du dich an andere wendest
Simple vorbereitende Übungen können dir vor deiner Yogastunde sehr helfen, dich mühelos in deiner Stimme einzufinden und deine Stimmkraft zu spüren. Sie wird dich dann besser vor der Gruppe tragen, selbst wenn du ein Stimmprofi bist! Deine seelische Aufrichtung, in der Gebärde und in den Bewegungen bis hin zur Artikulation, läuft dann durchgängig über die Diafragmen – wie z.B. Beckenboden, Zwerchfell, Zungengrund – durch deinen ganzen Körper. Du bist wach bis in die Zungenspitze und für die Menschen in deinem Kurs leicht zu verstehen.
Das Ankommen bei dir, in deiner Mitte, wo sich das Zwerchfell befindet, kann für eine gute Unterrichtspraxis entscheidend sein. Die erdige Verwurzelung in der Mittenkraft deiner Stimme ist es, die unterstützend den inneren Raum deiner Yogaschüler öffnet. Mit Intonation und Akzenten, die du dann setzt, leitest du ihren Energiefluss in eine dynamischere oder ruhigere Richtung. Nutz die Vorspannung und höre deinen Ton, bevor er die Kehle verlässt.
Deine „Sprechwerkzeuge“ wecken
Verschiedene Übungen können dir helfen, deine Stimmkraft zu entwickeln und zu erforschen. Beginne mit einer Aufwärmübung des Mundraums und der Artikulationsorgane, das sind Lippen, Zunge, Zahnreihen und der feste Gaumen. Aber Achtung: Eine gut verständliche Sprache soll nicht mit einer gehobenen Sprache verwechselt werden! Sprich in der Ausdrucksweise, in der du authentisch bist, aber beweg deinen Mund und deine Lippen und nutz die Resonanzräume, denn so entlastest du deine Stimme.
Übungen, um die Sprechwerkzeuge zu wecken
- Mit der Zungenspitze zwischen Lippen und Zahnreihen kreisen, dann die Richtung wechseln
- Nougat schmecken, lutschen, saugen: „M-M-M-H“
- Seifenblasen zerplatzen lassen, hintereinander sprechen: „P-T-K!“, „P-T-K!“ , „P-T-K!“ und die weichen Konsonanten ebenso: „B-D-G!“
- Ein Motorsegler: „B-W, B-W“, auch stimmlos probieren
- Blubbern: Die Hände auf die Körperwand legen und ein weiches „B“ mehrmals hintereinander sprechen
- Staunen, den Gaumen so hoch wie möglich heben: „O-O-O-H“
Verbindung zwischen Atem und Stimme
Die bewusst eingesetzte Stimmkraft unterstützt den Ausgleich zwischen sympathischem und parasympathischem Nervensystem im eigenen Körper, und zwar über den erfahrbaren Atem. Wenn der natürliche Atem frei fließen kann, beeinflusst er das Vegetativum zugunsten einer größeren Balance. Dazu kommt es hauptsächlich durch die gute, für die Atembewegung durchlässige muskuläre Gespanntheit. Diese nötige Spannkraft, oder anders gesagt, der „Tonus“, den eine tragende Stimme braucht, wird laut der Methode Atem-Tonus-Ton® aus den Beinen gespeist – also weit weg von der Atemmuskulatur, die frei schwingen kann.
Übung: Der Zirkel
- Komm in den Stand und nimm die Füße (ohne Schuhe) hüftbreit und parallel auseinander. Streck deine Knie nicht ganz durch, sodass die Beckenebene spiegelgleich zur Mitte mitschwingen kann.
- Streich mit deinen Händen mehrmals quer über die Körpermitte (die eine Handfläche vorn, den Handrücken an der hinteren Seite) in Höhe der untersten Rippen. So schaffst du vorbereitend Wärme und Präsenz in dieser Körperregion und dein Atem kann freier fließen.
- Nun mach einen kleinen Ausfallschritt mit deinem Spielbein nach vorn. Beug beim Aufsetzen das Knie und lass den Fuß wie in einen weichen Untergrund tief einsinken. Mach dann den Schritt wieder zurück in die Ausgangslage.
- Steh ruhig und spüre einen Moment, wie sich dein Atem darauf einstellt. Versuch bei der ganzen Übung, nicht in den natürlichen Rhythmus deines Atems einzugreifen. Stattdessen gleiche ggf. die Bewegung an den Atem an.
- Setz erneut mit dem gleichen Bein an und mach den Ausfallschritt an einen anderen Punkt, vielleicht zur Seite und wieder zurück, spüre dann nach. Nun nimm deine Arme im Moment des Einlassens auseinander, lass sie zu den Seiten schwingen, als ob du etwas von dir wirfst, und nimm sie wieder zusammen, die Hände auf der Körpermitte übereinander gelegt. Spüre erneut, wie sich der Atem darauf einstellt.
- Setz nochmals an und mach den Ausfallschritt an eine neue Stelle. Lass nun dabei die Stimme mit einem „H-O-O“ zu dieser Bewegung fließen, während du den Fuß aufsetzt. Wähle einen klaren, nicht verhauchten Stimmeinsatz, der für dich in Tonhöhe und Lautstärke komfortabel ist. Probier ruhig etwas aus und wechsle vielleicht die Tonhöhe. Beweg und öffne deinen Mundraum und verbinde dich geistig mit deinen lebendigen Fußsohlen und dem Boden.
- Setz dabei immer wieder neu und bewusst mit dem „H-O-O“ zur Übung an, variiere die Ausfallschritte, größer und kleiner, im Halbkreis der einen Körperseite.
- Wechsel danach das Stand- und Spielbein bzw. die Körperseite und beende jeweils bewusst mit einer kleinen Nachspür-Pause.
ACHTUNG: es ist wichtig, dass du die Tonlänge nicht überziehst; beende dein Tönen noch im Wohlgefühl der Fülle des Ausatems und zögere den neuen Einatem nicht hinaus.
Wenn du diese Übung ein paar Mal gemacht hast, wirst du beobachten können, wie sich die Stimme allmählich klarer und kerniger anfühlt, ohne dass du dabei den Luftstrom manipuliert oder die Muskulatur im Hals- und Kehlbereich extra angespannt hast. Im Gegenteil, du wirst feststellen, dass der ganze Bereich um den Stimmapparat offen und entlastet ist, und vielleicht ist auch deine Stimmung heller geworden. Also ist dir Gott schon ein Schrittchen entgegengekommen, hurra!
Wenn du nicht gleich in ein wohliges Gefühl kommst, dann bleibe offen, versuch es weiter und schau, was jetzt möglich ist:
Übung: Zirkel mit Variation
Wenn dir diese Übung Spaß gemacht hat, kannst du sie gleich wiederholen und variieren:
- Zeig auf Gegenstände oder Punkte im Raum und bring mit einem kurzen Wort zum Ausdruck, was du siehst oder in/an dir spürst: „Füße!“, „Rücken!“, „Mund!“, „Fenster!“, „Boden!“, „Ecke!“, „Jaa-Ja!“, „Hee-Du!“, etc.
- Verlier dich nicht, sondern bleib mit der Aufmerksamkeit bei den Fußsohlen und den Schritten, die du machst. Achte darauf, den Ton früh genug zu beenden.
- Wenn du einen Partner hast, könnt ihr euch gegenüber aufstellen und euch mit den Ausfallschritten abwechselnd eure Eindrücke zurufen. Wartet dabei jeweils den Ruf und die Antwort des Anderen ab. Beginnt langsam und steigert nach und nach Dynamik und Lautstärke.
„Stimme von Fuß bis Kopf. Ein Lehr- und Übungsbuch für Atmung und Stimme nach der Methode Atem-Tonus-Ton. mit Übunds-CD“ von Maria Höller-Zangenfeind, Studien Verlag 2004
Info
Verena Mayr, ursprünglich in der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (Wien) zur Schauspielerin ausgebildet, ist Yoga-Lehrerin, Stimmtrainerin und Atempädagogin.
Nach mehreren zertifizierten Ausbildungen, zuletzt bei Katchie Ananda Yoga & Dharma School, arbeitet sie freiberuflich und selbständig in ihren eigens gegründeten Studioräumlichkeiten in Innsbruck. Internet: www.verenamayr.com