In der kommenden Sommerausgabe von YOGA AKTUELL heißt uns Clemens Frede in einem Hamburger Yoga Studio willkommen, das er in einen Practice Space verwandelt hat. Wie die Zukunft der Yogapraxis aussehen könnte, das haben wir aber schon vorab im folgenden Interview nachgefragt.
Interview
YOGA AKTUELL: Clemens, erklär uns bitte kurz, was der „Practice Space“ ist und worum es dabei geht.
Clemens Frede: Der Practice Space ist ein Raum, in dem jeder für sich an seiner eigenen Yogapraxis arbeiten kann, ohne auf einen Yogalehrer oder die Inspiration der Gruppe verzichten zu müssen. Ich stelle in der Klasse ein Thema vor, das wir erst mal zusammen ausprobieren und uns dabei aufwärmen. Dann geht jeder in seinen eigenen Flow, die eigene Atmung, in die eigene Wahrnehmung.
Es ist ein Format, das den Weg in die persönliche Praxis zu Hause ebnen soll. Geführte Klassen oder Yoga-Videos können inspirieren und eine Routine reinbringen. Eine eigene Praxis zu Hause – und wenn es nur 10-15 Minuten sind – finde ich unerlässlich. The Practice Space liegt dazwischen. Es ist fast wie eine Privatstunde, weil man wirklich individuelle Tipps bekommt.
Wie bist Du auf diese Idee gekommen?
Das waren verschiedene Faktoren. Zum einen durch mein Studium der Performance Psychologie. Sie erforscht Konzepte aus dem Sport und anderen Bereichen, wo Herausforderungen und Persönlichkeit eine Rolle spielen. Zwei wesentliche Aspekte sind dabei Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Dazu kamen Beobachtungen aus der eigenen Praxis, Impulse aus Trainings und interessanterweise meine Registrierung bei den Krankenkassen. Für die Zertifizierung musste ich ein Konzept schreiben, das die Prävention und das eigene Üben in den Mittelpunkt stellt. Mir ist dabei aufgefallen, dass dies im normalen Yoga-Unterricht praktisch gar nicht berücksichtigt wird und viele Schüler nicht in der Lage sind, selbstständig zu üben, obwohl sie regelmäßig in geführte Yoga-Klassen gehen.
Woran liegt das?
Die meisten Yogaklassen leiten primär Asanas und Pranayama als Form an. Arme nach oben. Rechtes Bein nach hinten. Atmen. Die Schüler hören zu und führen aus. Es bleibt wenig Raum für die Schüler, selbst das Tempo oder die Intensität zu bestimmen und wirklich in die eigene Achtsamkeit zu kommen. Mit einem Standardprogramm werden alle Körperkonstitutionen, Stresslevel und Gedankenmuster einer ganzen Gruppe abgefrühstückt. Da ist es eher Glücksache, dass etwas bei jedem Einzelnen hängen bleibt.
Und die meisten Lehrer genießen diese Rolle des Experten. Die Suggestion, dass es doch ein richtig und falsch gibt und dass nur der Lehrer das beurteilen kann, wird in jeder Hinsicht aufrecht erhalten. Ich habe es noch nie erlebt, dass ein Lehrer in einer Klasse einfache Übungen für zu Hause erwähnt oder explizit unterrichtet hat. Und es ist ja auch wirtschaftlich im Interesse der Lehrer, Schüler eben nicht ins selbstständige Üben zu bringen. Sie sollen ja in die Klassen kommen, und bitte auch den Workshop und das Retreat und das Teacher Training buchen.
Aber ist das nicht auch schwierig, jeden einzelnen Schüler in die eigene Praxis zu bringen?
Das ist ja der Kern des Yoga! Die eigene Selbstreflexion, die eigene Klarheit zu bekommen. Sicher ist das unbequem und anstrengend, aber wenn es einfach wäre, würde es jeder machen. In der Yoga-Branche passiert momentan genau das: Yogalehrer-Trainings werden angeboten wie Sand am Meer. Nichts ist einfacher, als drei Wochen Bali-Urlaub mit einer 200-Stunden-Ausbildung zu verbinden, und schon ist man Lehrer. Wir machen uns grandios etwas vor. Aber es ist eben einfach und der eigentliche Weg ist viel schwieriger. Lieber ein paar coole Beats zu einer schwitzigen Choreo, als sich mal Gedanken zu machen – als Lehrer und als Schüler.
Es ist schade, dass Yogaschülern nach pauschalen Workshops und Trainings nur der Weg ins Teacher Training bleibt, und es keine Angebote gibt, die wirklich die persönliche Praxis fördern. So ist der Practice Space entstanden.
Was ist Deine Vision?
Ich würde mich natürlich freuen, wenn Lehrer diesem Beispiel folgen und auch Practice Spaces anbieten, den Schüler wieder in den Mittelpunkt stellen und Angebote individualisieren. Wir haben eine neue Gruppe an ausgebildeten Yogalehrern, die ihre 200-Stunden-Ausbildung absolviert haben, aber selbst im eigenen Üben unsicher sind oder die Tiefe des Yoga noch nicht erfassen. Auch für diese Schüler müssen Angebote geschaffen werden, die ihre weitere Entwicklung fördern. Und ich sehe eine große Verantwortung bei Studios und erfahrenen Lehrern, nicht einfach nur Lehrer auszubilden, sondern diese Lehrer auch weiter als Schüler zu betreuen. Verantwortung und – ironischerweise – Ethik müssen unter Yogaausbildern unbedingt wieder wichtiger genommen werden.
Wir finden, das ist ein super Ansatz und bedanken uns für dieses Gespräch!
Mehr zu The Practice Space erfährst du in der nächsten Ausgabe von YOGA AKTUELL: Unsere Sommerheft Aug/Sept. ist ab 1.8. im Handel und natürlich auch in unserem Onlineshop erhältlich!
Mehr zu Clemens Frede findest du inzwischen hier: www.clemensfrede.com
Vielen Dank für das schöne Interview! Hat mir viel Freude bereitet. Nur als Richtigstellung: Ich habe kein eigenes Yoga-Studio, sondern unterrichte in unterschiedlichen Studios in Hamburg und auch regelmässig in Bad Gastein. Wer möchte, kann den Practice Space vom 27.10.-11.3. im Gasteinertal auf sich wirken lassen. Freu mich über das positive Feedback und darauf, den Practice Space weiter zu entwickeln.